Im Sommer wurden erstmals bei den Olympischen Spielen in Tokio Medaillen im Sportklettern vergeben. Der Modus "Olympic Combined" - eine Mischung aus den drei Disziplinen Speed, Bouldern und Lead - hatte im Vorfeld zu erheblichen Diskussionen geführt.
Megos hatte in Japan den Einzug ins Finale der besten acht Herren knapp verpasst. In der Endabrechnung der drei Disziplinen belegte er in der Qualifikation den neunten Platz.
Der aus Erlangen stammende Alex Megos gilt seit Jahren als einer der weltweit besten Kletterer im Fels. 2013 schaffte er es als erster weltweit, eine Route im Schwierigkeitsgrad 9a (XI) onsight zu klettern.
Und 2020 war er - nach Adam Ondra in "Silence" - der zweite Kletterer, der mit der Durchsteigung der Route "Bibliographie" im französischen Céüse eine Route im bis heute schwierigsten Grad "9c" meisterte. Die Route wurde inzwischen allerdings durch den Italiener Stefano Ghisolfi wiederholt, der eine - offenbar allseits akzepzierte - Abstufung der Schwierigkeit auf 9b+vorschlug.
Auch im Wettkampfklettern hat Megos bereits große Erfolge feiern können und landete in seiner Paradedisziplin "Lead" bei Worldcups bereits mehrere Male auf dem Treppchen. 2019 wurde er bei der Lead-Weltmeisterschaft in Hachioji (JPN) Zweiter.
Obwohl Alex Megos ein leidenschaftlicher Felskletterer ist, hatte er sich 2018 entschieden, seine Karriere für drei Jahre auf das Ziel Olympia auszurichten. Dass er sich beim Bouldern nicht gerade als Spezialist bezeichnete und die Disziplin "Speed" Neuland für ihn war, wollte er mit seiner Paradedisziplin "Lead" wettmachen.
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Rund drei Monate nach den Spielen von Tokio blickt Megos kritisch auf ein außergewöhnliches Jahr zurück, wähnt sich am Scheideweg - und hat bereits eine klare Entscheidung getroffen.
kicker-Online-Redakteur Bernd Staib sprach mit dem Ausnahme-Athleten aus Erlangen über die eigene Leistung, das Drama im Bewertungssystem und seine Zukunftpläne im Wettkampfklettern.
Herr Megos, wie zufrieden waren Sie mit Ihrer Leistung in Tokio?
Geht so. Einen Platz am Finale vorbeizuschrammen, ist natürlich Mist. Ich hätte im Bouldern oder Lead einen Platz besser abschneiden müssen, dann wäre ich ins Finale eingezogen. Besonders unzufrieden bin ich mit meiner Lead-Performance.
Die Boulder-Performance war mit dem sechsten Platz eigentlich besser als erwartet. Da habe ich mir schon gedacht, ey krass, das hätte deutlich schlechter werden können. Dafür hätte es im Lead-Klettern deutlich besser laufen sollen als Platz sechs, das hat mich ziemlich aufgeregt.
Stichwort Bouldern: Sie hatten ein Top und vier Zonen erreicht. Andere schafften zwei Tops und bekamen bei zwei weiteren Boulder-Problemen nichts gebacken. Wie schätzen Sie die Bewertungsskala beim Bouldern ein, bei der nur Zonen oder Tops gezählt werden?
Dieses grobe Raster bei der Wertung ist oft unvorteilhaft. Jemand, der mit größter Mühe zur Zonenwertung kommt, wird genauso bewertet wie jemand, der den Topgriff nicht halten kann. Für uns Kletterer ist das ein himmelweiter Leistungsunterschied, aber in der Wertung spielt das letztlich überhaupt keine Rolle. Ganz klar, ich find’s nicht so gut.
Änderungen bei der Bewertung der Boulder-Leistungen sind aber offenbar auf dem Weg.
Ja, das steht zur Debatte für die nächsten Olympischen Spiele 2024 in Paris. Ich finde das System der US-Amerikaner bei ihren nationalen Wettkämpfen gut. Das Erreichen des Topgriffs bringt 25 Punkte und dann gibt es noch drei weitere Zonen mit fünf, zehn und 15 Punkten.
Dieses System wäre auch für Tokio cool gewesen. Für uns Athleten, weil selbst wir nicht mehr so richtig durchgeblickt haben, wer jetzt wo liegt - aber auch für die Zuschauer wäre es viel nachvollziehbarer gewesen.
Die Verwirrung war dann vor allem bei den letzten Wettkämpfen sichtbar, als in der Lead-Qualifikation und noch extremer im Lead-Finale keiner so recht wusste, was im Ranking passiert.
Beim Lead hat jeder Kletterer mit seiner Leistung das Ranking komplett durcheinandergewirbelt. Selbst wir Athleten und auch die Trainerteams hatten keine Ahnung, was im Ranking passiert, wenn einer jetzt einen Zug mehr schaffte als ein anderer. Kurzum: Es war total verwirrend.
Zum Beispiel hatte Adam Ondra gefühlt Gold oder eine Medaille fast sicher, und dann kommt Jakob Schubert als letzter Kletterer und drückt mit seiner Leistung Ondra weg auf Platz sechs. Da steckt im Bewertungssystem zu viel Drama drin und es fühlt sich nicht mehr gut an. Und ich kann mir auch vorstellen, dass Adam frustriert ist.
Noch einmal zurück zu Ihrer Lead-Performance in Tokio. Wie konnte es passieren, dass Sie den Einzug ins Olympia-Finale ausgerechnet in Ihrer Paradedisziplin vermasselten?
Ich war im Trainingslager kurz vor Olympia in Innsbruck richtig gut drauf, das konnte ich ja auch einschätzen, weil Schubert auch dort trainiert hat. Aber als es dann in der Lead-Qualifikation darauf ankam, habe ich mich einfach nicht gut gefühlt beim Klettern an der Wand.
Ich war ein bisschen nervös, habe schon am Anfang der Route bei den Griffen recht fest zugepackt. Ich weiß nicht genau, woran es lag, aber es war kein guter Auftritt von mir.
Das Tokio-Projekt wurde vom DAV-Team um Bundestrainer Urs Stöcker sehr detailliert geplant - inklusive der Anreise zwei Wochen vor dem Wettkampf -, sodass man in Tokio 14 Tage unter strengsten Corona-Bedingungen zubringen musste. War diese Herangehensweise im Nachhinein richtig?
Die Vorbereitung, wie wir sie gemacht haben, war gut. Dass es am Ende für Jan und mich nicht fürs Finale gereicht hat, war schade, aber ich kann wirklich nicht konkret sagen, woran es lag. Am Ende ist es ein Wettkampf, und da kommt es viel auf Körpergefühl und mentale Verfassung am Tag X an. Eine organisatorische Sache hätten wir aber wirklich anders machen können: Es hat das richtige Team vor Ort gefehlt.
Sie hatten die Abmachung mit dem DAV, dass im Falle einer Olympia-Qualifikation Ihre langjährigen Trainer mitreisen werden. Sie haben schon vor den Wettkämpfen durchblicken lassen, dass Ihnen das vertraute Trainerteam vor Ort fehlen werde.
Ja, das stimmt, die Abmachung konnte nicht umgesetzt werden, natürlich teilweise auch wegen den Corona-Bestimmungen. Aber letztlich wurde eine Person priorisiert, die uns vor Ort nicht groß geholfen hat. Wenn schon nicht die eigenen Trainer mitkommen konnten, dann wäre es viel sinnvoller gewesen, Yannick Flohé mitzunehmen.
Erstens hätte er im Falle einer Verletzung von mir meinen Olympia-Platz einnehmen können, und viel wichtiger noch: Er hätte uns als Trainingspartner viel besser unterstützen können. Leider scheint es, als wäre die Kehrseite von Olympia auch, dass Funktionäre Vorrang bekommen und wichtiger sind als eine optimale Vorbereitung der Sportler.
Olympia als persönliches Erlebnis, was bleibt davon hängen?
Puh, das ist ne gute Frage. Es war auf jeden Fall eine mega coole Erfahrung, die ich nicht missen will. Die Stimmung im Olympischen Dorf wird mir vor allem im Gedächtnis bleiben. Der Wettkampf für sich war jetzt nicht zwangsläufig etwas Besonderes, von der Atmosphäre definitiv nicht besser als alle Weltcups oder Weltmeisterschaften.
Wie bewerten Sie das Niveau bei der olympischen Kletter-Premiere?
Schon aufgrund des Qualifikationsmodus waren sicher nicht die jeweils besten 20 Athleten und Athletinnen der Welt dabei. Durch das Combined-Format waren viele Athleten dabei, die in einer Disziplin überragend sind und in den anderen beiden Disziplinen fast nichts können. Das gilt auch für mich - im Speed ganz schlecht, im Bouldern okay und im Lead eigentlich ziemlich gut.
Auch aufgrund dieser krassen Leistungsunterschiede: Wie hat sich das Klettern bei Olympia den Zuschauern präsentiert?
Ich denke, dass das Speed-Klettern bei den Zuschauern am besten ankam. Selbst der größte Laie versteht sofort, was Sache ist - wer als erster oben ist, hat gewonnen. Was richtig schlecht war, war das Routensetting beim Bouldern. Für Leute, die was vom Bouldern verstehen, war es zum Zuschauen sehr langweilig, für Leute die vom Bouldern nichts verstehen, war es eine absolute Katastrophe.
Durch die Boulder-Weltcups vor Olympia hätten die Routenschrauber aus meiner Sicht genug Erfahrung haben müssen, um zu sehen, dass sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern die Boulder-Probleme hoffnungslos zu schwierig waren. Ein Griff ins Klo, anders kann man das nicht sagen. Schade, dass diese Disziplin bei Olympia dadurch ein bisschen zerstört wurde.
Waren die Routen beim Lead auch zu schwierig?
Nein, da waren die Routen gut - bei den Männern und Damen, bei der Qualifikation und auch im Finale.
In den fünf Jahren zwischen der Entscheidung, dass Klettern olympisch wird und den Spielen in Tokio gab es immer wieder Stimmen, die den Klettersport deshalb auf Abwegen sahen: zu viel Kommerzialisierung, zu wenig vom so genannten Spirit in der Kletterszene. Wie haben Sie das Miteinander vor Ort erlebt?
Die Frage verstehe ich jetzt nicht ganz. Wettkampfklettern und Outdoor-Klettern, das aus meiner Sicht vor allem für diesen speziellen Spirit verantwortlich ist, haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Das Naturerlebnis und das Freiheitsgefühl, das ich beim Klettern am Fels verspüre, das fehlt bei Wettkämpfen natürlich. Und der Wettkampf in Tokio war da nochmal ganz speziell anders.
Inwiefern?
Bei Weltcups hängt man mit allen Kletterern und Trainern gemeinsam ab, man kann nach seinem eigenen Auftritt den anderen zuschauen, sich austauschen und gegenseitig anfeuern. Das gehört zum Miteinander beim Wettkampfklettern eigentlich dazu.
In Tokio dagegen wurde man von der Wand direkt abgeholt, fast schon abtransportiert, wurde dann durch einen Medienkanal geschoben, wo man von den Journalisten nach Belieben abgegriffen und danach wieder in die Isolationszone verfrachtet wurde. Das ist von der Atmosphäre her schon ein gewaltiger Unterschied. Letztlich habe ich in Tokio keinen einzigen Menschen klettern sehen - außer Jan im Training.
Viele dieser Maßnahmen waren der Pandemie geschuldet - was bleibt vom Großereignis Olympia?
Mir hat es definitiv die Augen geöffnet, wie die Sportbranche funktioniert, wenn es um mehr Geld geht. Was für ein krasser Aufwand in Tokio betrieben wurde, nur dafür, dass wir an zwei Tagen bisschen klettern. Es ist abartig, wie viel Geld ausgegeben wurde für einen Wettkampf, der mittelmäßig gut war. Da muss man sich schon die Frage stellen, ob man das mitmachen will oder ob das für einen das Klettern ausmacht.
Nach Olympia haben Sie keine weiteren Wettkämpfe bestritten. Täuscht der Eindruck, dass Sie sich so weit wie nur irgendwie möglich von Plastikwänden fernhalten wollten?
Ich muss mir das jetzt in Ruhe überlegen, wie es mit mir als Wettkampfkletterer weiter geht. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass Urs Stöcker seinen Rücktritt beim DAV eingereicht hat. Das kam super überraschend für mich. Urs hat mich 2018 in diese Maschinerie des Wettkampfkletterns zurückgeholt und mir gewisse Privilegien eingeräumt - deswegen hängt meine Zukunft auch davon ab, wer neuer Bundestrainer wird.
Klingt nicht besonders konkret beziehungsweise euphorisch?
Das Klettern am Fels ist definitiv wichtiger für mich als Wettkampfklettern. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Möchte ich mit dem Wettkampfklettern komplett abschließen oder starte ich noch bei ein paar Weltcups, wenn es reinpasst und der Aufwand nicht zu groß ist.
Video: Alexander Megos wirbt fürs Frankenjura.
Meinen Sie dabei vor allem den zeitlichen Aufwand, letztlich lief die Vorbereitung auf Olympia nach ihrer Qualifikation im August 2019 zwei Jahre?
Ja, aber es geht mir auch um den Umweltaspekt. Aus dieser Sicht waren diese Olympischen Spiele ein Super-GAU. Ein krasses Sinnbild dafür war die Klimaanlage hinter der Kletterwand, da wurde der Außenbereich für uns Athleten runtergekühlt - bei fast 40 Grad Hitze.
Als ich das gesehen habe, habe ich beschlossen, davon kein Teil mehr sein zu wollen. Für eine Woche zum Weltcup nach China zu fliegen, das ist es mir einfach nicht mehr wert. Und auch schon in der Vorbereitung auf Olympia habe ich mir manchmal gedacht, was mache ich da für einen Mist mit?
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