Am 23. Juli beginnen die Olympischen Spielen in Tokio. Dabei werden erstmals auch Medaillen im Sportklettern vergeben. Eigens für die Spiele wurde eine neue Wettkampfform kreiert. Der Modus "Olympic Combined" ist eine Mischung aus den drei Disziplinen Speed, Bouldern und Lead.
Deutsche Damen sind nicht am Start, bei den Herren konnten sich Alexander Megos und Jan Hojer qualifizieren. Auftakt für die beiden wird die "Combined Qualifikation" am Dienstag, den 03. August sein.
Kurz vor dem Abflug nach Japan hat sich Bernd Staib von kicker online, dessen Interview mit Alex Megos ihr hier lesen könnt, mit dem Bundestrainer Urs Stöcker unterhalten.
Interview mit dem DAV-Bundestrainer Urs Stöcker@(zwischenHeadlineTag)>
Bernd Staib: Wie läuft Ihre Anreise und die Tage bis zu den Wettkämpfen im Sportklettern?
Urs Stöcker: Wir fliegen am Montagabend von Frankfurt nach Tokio, machen viele Tests und begeben uns in einem Hotel in Quarantäne. Kurz vor unseren Wettkämpfen kommen wir dann ins Olympische Dorf, es gibt bis dahin keinen Kontakt zu anderen Leuten vor Ort und von den anderen Wettkämpfen bekommen wir auch nichts mit. Wir dürfen uns nur per Shuttle-Bus zwischen Hotel und den Trainingsstätten bewegen.
Das klingt nach begrenztem Spaßfaktor.
Wie gesagt, wir hätten uns das alle anders gewünscht. Allerdings sind die Trainingsstätten in Tokio vom Routenbau und der Beschaffenheit der Wand weltklasse. Wir buchen für unser Team Vier-Stunden-Slots zum Trainieren, uns wird schon nicht langweilig. Und wer weiß, vielleicht hilft die fehlende Ablenkung ja auch, um in den entsprechenden Wettkampf-Tunnel zu kommen. Die heiße Phase beginnt dann ab dem 29. Juli, wenn alle Athleten und Athletinnen an der Wettkampfstätte trainieren dürfen.
Das bringt uns zum Sportlichen. Was genau wird vor Ort noch trainiert?
Trainiert haben Alex und Jan bis dahin genug, wir wollen ein Gefühl für die klimatischen Bedingungen vor Ort und speziell die viel höhere Luftfeuchtigkeit bekommen. Sehr schwitzende Hände sind beim Klettern natürlich immer ein Problem, deswegen testen wir das entsprechend umfangreich, damit wir nicht negativ überraschen werden.
Lassen Sie uns konkret über die beiden deutschen Kletterer sprechen. Mit welchem Gefühl sitzen Sie im Flieger nach Tokio?
Alex Megos ist in den letzten Wochen nochmal richtig stark geworden. Beim Bouldern waren seine Resultate früher ohne echte Konstanz, aber zuletzt hat er sich bei den Weltcups in den Top Ten stabilisiert - das stimmt mich schon zuversichtlich. Schade, dass er beim Lead-Finale in Villars nicht gewinnen konnte. Er hat einen Fußfehler gemacht, sonst hätte er wohl den Top-Griff erreicht und gewonnen. Aber man hat da gesehen, dass sich Alex manchmal zu sehr auf seine unglaubliche Kraft verlässt und dann Lösungen sucht, die deutlich schwieriger sind, als sie sein müssten. Er geht nicht immer den einfachsten Weg, auch weil er speziell beim Lead mit der Route spielen will und seinen Spaß braucht.
Und wie schätzen Sie Jan Hojer ein, er gilt als ja Einzelgänger?
Ja, das stimmt. Jan macht sein Ding, aber das ist zu einem großen Teil auch seine Erfolgsstrategie. Wir waren in den letzten Wochen schon in Kontakt und versuchten gemeinsam seine Olympia-Vorbereitung zu steuern. Bei den vorbereitenden Wettkämpfen erzielte er noch keine herausragenden Resultate und konnte leider noch kein richtiges Zeichen setzen.
Hier unsere Fotogalerie zum gemeinsamen Event von ALPIN und Gore-Tex mit Leser:innen und Alex Megos (Artikel hier).
Macht Sie das nervös?
Nein, überhaupt nicht. Jan war in seinen Leistungen über die jeweiligen Saisons gesehen oft schwankend, aber bei den großen Titelwettkämpfen wie Europa- oder Weltmeisterschaften hat er immer einen rausgehauen. Wenn es zur Sache geht, dann ist Jan da. Er ist ein extremer Wettkampftyp, wenn es darum geht, der Beste zu sein. Dann kann er auf den Punkt liefern.
Los geht es in Tokio mit dem Speed-Klettern. Wie sieht die Strategie für Megos und Hojer hierfür aus?
Für Alex heißt das Motto zügig hochkommen - mit der Betonung ganz klar aufs Hochkommen, am besten stabil mit einer Zeit um die 7,8 Sekunden. Seine Punkte muss er aber beim Bouldern und im Lead holen. Ich glaube aber, dass der Druck auf die Speed-Spezialisten enorm hoch sein wird, weil sie ein Topergebnis brauchen und mit hohem Risiko an die Wand gehen. Da können leicht Fehler passieren. Das trifft letztlich auch auf Jan zu, er läuft mittlerweile eine Zeit im niedrigen Sechs-Sekunden-Bereich. Das heißt: Beim Speed muss er liefern. Aber er ist stabil und liefert auch in den entscheidenden Momenten.
Überraschen Sie die neuen Spitzenzeiten beim Speedklettern von deutlich unter sechs Sekunden für die 15 Meter-Wand?
In der Häufigkeit hat mich das sehr erstaunt. Um in Villars ins Speed-Finale zu kommen, brauchte man eine 5,8-Sekunden-Zeit, das hat mich schon beeindruckt. Das war vor zwei Jahren noch deutlich anders. Auch dass die absoluten Bestzeiten auf 5,3 Sekunden gedrückt wurden, ist erstaunlich.
Welchen Eindruck haben Sie vom Leistungsniveau aller anderen Olympioniken bei den bisherigen Weltcups?
Als die Weltcups im April losgingen, hatte ich riesige Erwartungen an die Tokio-Fahrer. Nach der langen Wettkampfpause dachte ich, die würden alle ultra fit sein und total abräumen. Aber egal, ob Adam Ondra, Jakob Schubert, Tomoa Narasaki oder auch Alberto Gines Lopez - keiner war so richtig außergewöhnlich, alle haben Schwächen offenbart. Allerdings kommt Tomoa schon recht komplett daher, weil er eben auch im Speed stark ist.
Das DAV-Team für Olympia umfasst fünf Personen. Die beiden Kletterer, Sie als Trainer, Physio Martin Schlageter und Sportdirektor Martin Veith. Ist da angesichts der Bedingungen vor Ort ein Lagerkoller vorprogrammiert?
Wir haben im Vorfeld ganz bewusst unter Corona-Bedingungen Trainingslager mit dem kleinen Olympia-Team abgehalten - in Fontainebleau, Augsburg, Innsbruck. Wir kommen mittlerweile ganz gut zurecht auf engem Raum, können uns gegenseitig tolerieren, denn wir sind alle sehr eigene Typen. Im Training unterstützen und pushen sich Megos und Hojer natürlich, aber die große Wärme gibt es nicht - und das braucht es auch nicht.
Was muss passieren, damit Sie das Olympia-Projekt als Erfolg bezeichnen?
Wir haben uns ganz bewusst keine Ziele gesetzt. Klar, eine Finalteilnahme wäre sicherlich ein Ziel, das man ausgeben könnte. Aber wir pflegen da eher einen neutralen Stil, ich bin ja Schweizer. Wir halten den Ball flach und wollen dann überraschen. Favoriten sind ganz klar andere.
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