Der Münchner Profi-Alpinist im Interview

David Göttler: "Höhenbergsteigen mit Sauerstoff ist für mich wie E-biken"

ALPIN-Fotografin Birgit Gelder bestieg mit Profi-Alpinist David Göttler den Dent du Géant und führte mit ihm das höchste Interview seiner Karriere. Ein Gespräch über Höhenbergsteigen, die Rolle der Medien und die Vorbildfunktion der Profis.

David Göttler am Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe.
© Birgit Gelder

Im Rahmen der Vorstellung der neuen Alpin-Kollektion (Advanced Mountain Kit) von The North Face in Chamonix hatte ALPIN-Fotografin Birgit Gelder die Gelegenheit, mit David Göttler auf den Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe zu steigen und mit ihm ein ganz besonderes Exklusiv-Interview zu führen. Dabei ging es nicht nur hoch hinaus, sondern auch richtig zur Sache.

<p>Profi-Bergsteiger und The North Face-Athlet: David Göttler.</p>

Profi-Bergsteiger und The North Face-Athlet: David Göttler.

© Birgit Gelder

David, du bist seit fast 20 Jahren Profi-Bergsteiger und viel an den höchsten Bergen der Welt unterwegs. Im Frühjahr 2021 musstest du den Versuch, den Everest ohne Sauerstoff zu besteigen abbrechen – 100 Meter unter dem Gipfel. Was war los?

<p><strong>3 Fragen an David Göttler  lest ihr in ALPIN 12/2021. Unsere Dezember-Ausgabe ist ab dem 13.11. im Zeitschriftenhandel oder im <a href="https://leserservice.alpin.de/de_DE/einzelhefte?onwewe=0601&utm_campaign=alpinde-navi&utm_term=header-heft" rel="nofollow" target="_blank">ALPIN-Heftshop</a> erhältlich.</strong></p>

3 Fragen an David Göttler  lest ihr in ALPIN 12/2021. Unsere Dezember-Ausgabe ist ab dem 13.11. im Zeitschriftenhandel oder im ALPIN-Heftshop erhältlich.

© ALPIN

Es waren einfach zu viele Leute und das Wetter wurde auch deutlich schlechter. Bei den Bedingungen da oben fehlt dann einfach der Spielraum noch zwei Stunden warten zu können. Aber ich beschwere mich nicht. Wenn man an den Everest geht, weiß man, dass viel los sein kann und an den Schlüsselstellen Staus entstehen können. 

Jeder hat das Recht, den Berg in seiner Manier zu besteigen. Ich will jetzt auch kein Label auf die Art pappen, wie ich unterwegs bin - möchte auch nicht sagen, dass das fairer oder ehrlicher ist. Wenn wir aber über die sportliche Leistung sprechen, dann ist für mich die Nutzung von Sauerstoff Doping. Punkt. 

Wenn wir die Medien mehr auf dieses Thema sensibilisieren würden, würde eine Everest-Besteigung mit zusätzlichen Sauerstoff auch nicht mehr als DIE große Heldentat wahrgenommen werden. Wie bist du hoch? Mit Sauerstoff? Ah, okay, also ein bisschen wie E-biken!

Bei schönem Wetter wird es am Gipfeltag immer voll sein. Wie siehst du deine Chance jemals hochzukommen?

2018 gab es viele schöne Wettertage, 2021 nicht. Vielleicht werden die guten Tage mit dem Klimawandel auch immer weniger. Ich muss halt nochmal hin.

Wie siehst du die Berichterstattung über das Höhenbergsteigen?

<p>Heil wieder unten: David Göttler mit ALPIN-Fotografin Birgit Gelder nach der Tour auf den 4013 Meter hohen&nbsp;Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe.</p>

Heil wieder unten: David Göttler mit ALPIN-Fotografin Birgit Gelder nach der Tour auf den 4013 Meter hohen Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe.

© Birit Gelder

Die Informationen über Achttausender-Besteigungen sind teilweise sehr undifferenziert. Das mag zum einen an der Berichterstattung liegen und zum anderen auch an den Profi-Bergsteigern selbst. Man sieht Menschen an diesen Bergen, die ohne die ganze Infrastruktur und die Sherpas komplett verloren wären. Nach außen wirkt es aber oft wie eine Leistung, die mit der von Reinhold Messner gleichzusetzen ist. 

Ich möchte das nicht ankreiden. Ich würde mir nur wünschen, dass die Handvoll Profi-Bergsteiger, Sponsoren und auch die Alpinpresse viel genauer hinschauen, deutlich differenzierter mit dem Thema umgehen und mehr Aufklärungsarbeit leisten. Alpinist:innen sollten gerade im Expeditionsbergsteigen an einer ehrlichen Kommunikation arbeiten. 

Ich versuche bei meinen Projekten immer maximal transparent zu sein. Ein Problem sehe ich bei den Social-Media-Kanälen, die Teil des Marketings und der Berichterstattung geworden sind. Das reine Print-Medium ist im Gegensatz zu online langsamer, aber auch überlegter. Heutzutage findet Journalismus im Stakkato statt, oft ohne zu filtern. Alles, was auf irgendeinem Kanal gepostet und möglichst effektvoll publiziert wird, wird meist ohne Nachfragen multipliziert.

Was meinst du, womit kann man heute im Alpinismus noch punkten? Was interessiert die Menschen und auch die Sponsoren?

Ich glaube, am Ende kommt es auf die Geschichten an - auch für die Sponsoren. An den Everest gehe ich nicht, weil er Everest heißt, sondern weil es der höchste Berg ist, den wir auf unserem Planeten haben. Ich bin Höhenbergsteiger, also möchte ich da einfach mal hin. 

Ich habe dort schon Gipfelluft geschnuppert und gemerkt, was für einen Unterschied es macht, ohne Sauerstoff in dieser Höhe unterwegs zu sein. Jetzt will ich einfach für mich wissen, ob ich es bis zum Gipfel schaffe. Das hat nichts damit zu tun, ob ich das gut verkaufen kann. Die Beziehung zu meinen Sponsoren ist lange gewachsen. Sie vertrauen mir, dass es eine gute Geschichte wird. Ich verspüre da keinen Druck.

Woher kommt dann der Druck?

<p>Nach dem Interview: Abseilen vom Dent du Géant.</p>

Nach dem Interview: Abseilen vom Dent du Géant.

© Birgit Gelder

Ich verspüre eher Druck von Seiten der Social-Media-Kanäle. Im Lockdown habe ich realisiert, dass Social Media auch zu "Neid“ verleitet. Überall sieht man Bilder von den tollsten Bergen mit den perfekten Verhältnissen, und man fragt sich, wieso man selbst nicht dort ist. Besonders wenn man im Basecamp sitzt und dann Bilder von einer Expedition am benachbarten Berg sieht, bei der alles super läuft und die Beteiligten glücklich am Gipfel stehen. Da darf man sich nicht stressen oder runterziehen lassen.

Während des Lockdowns gab es keine großen Expeditionen oder Projekte. Jeder hat nur seine Yoga-Videos gepostet oder sich beim Kochen gefilmt. Diese Situation hat mich tiefenentspannt. 

Wir müssen lernen mit diesem Medium vernünftig umzugehen. Besonders für die nachkommenden Athleten ist ein richtiger Umgang mit diesem - vergleichsweise noch neuen - Medium wichtig. Schließlich verdienen sie teilweise ihr Geld damit.

Profis zieht es häufig an sehr bekannte Berge. Was können die jungen Athleten noch machen, wenn eigentlich alles schon einmal gemacht wurde?

Das ist vielleicht der falsche Antrieb. Ich frage mich immer: "Wie kann ich mich persönlich noch weiterentwickeln?" Ich denke nicht darüber nach, wie ich die Leistung eines anderen toppen kann.

Ein Alex Honnold oder ein Alexander Huber wird sicher nicht daran gedacht haben, wie er andere medial übertreffen kann, als er mit seinen großen Projekten begonnen hat. 

Es war vielmehr ein Reifeprozess, sich selbst zu pushen und die eigenen Grenzen zu verschieben. Sie mussten sich rantasten und über lange Zeit immer ein kleines Stückchen weiter gehen. Natürlich sind sie auch risikobereit – das macht ja auch den Reiz aus, aber es ist eben ein kalkuliertes Risiko.

Trotzdem kann sich das jemand als Vorbild nehmen. Liegt das dann in der Verantwortung der Sportler, diese Aktionen medial anders zu präsentieren?

Ich glaube nicht, dass man besondere Leistungen "verheimlichen" sollte, damit sie keine Nachahmer finden. Allerdings sollte man junge Athleten darauf sensibilisieren, dass ihre Vorbilder, nicht gleich mit Free-Solo-Aktionen angefangen haben. Auch für die ganz Großen war es ein langer Weg und harte Arbeit dorthin zu kommen. Viele Jahre und viele Rückschläge später sind sie nun dort, wo sie jetzt sind. 

'Langsam reinwachsen und nicht von heute auf morgen' - das sollte kommuniziert werden. Und es wäre schön, wenn das auch ein Teil der Ausbildung im Expedkader vom Alpenverein wird. 

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4 Kommentare

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Manfredo

Wahre Worte ... David Göttler bringt es auf den Punkt und spricht aus, was vermutlich viele nicht hören wollen.

Social Media ist die Messlatte, ob wahr oder falsch spielt hierbei keine große Rolle, Hauptsache man erreicht möglichst viele Menschen, bzw. "Liker" mit seiner, auch oftmals inszenierten, Selbstdarstellung.

Im alpinen Stil und vielleicht auch noch auf unbekannten Wegen, hätte vermutlich 99% der heutigen Everestaspiranten bestenfalls die Fähigkeit den nächsten Kinderrodelhang zu bezwingen. Per se ist das auch kein Problem, nicht jeder vermag Spitzenleistungen zu vollbringen, nur sich mit fremden Federn zu schmücken, zeugt von wenig bis gar keinem Sportsgeist und völlig verzerrter Selbstwahrnehmung.

Der Sauerstoff für den Everest, das E-Bike für die MTB-Tour - beides verzerrt die eigentliche sportliche Leistung extrem. Irgendwann läuft man die 100 Meter mit elektronischer Laufhilfe und rühmt sich dann vermutlich, schneller als Usain Bolt zu sein.

Schade, dass es immer weniger Menschen gibt, die ungefilterte Leistung einfach anerkennen und respektieren.

Daher hier nochmal ein Dankeschön an David Göttler für die ehrlichen Worte

Damien François

Dann sollte man auch ohne Steigeisen, ohne Eisgeräte, ohne Daunenanzug, usw. unterwegs sein, wenn es darum geht so "rein" wie möglich in die Todeszone aufzusteigen. Diese Debatte ist sowas von fehlgeleitet! Sehr viele, die auf 8.000 m steigen bringen Wahsinnsleistungen zu Stande, denn sie sind, wie ich zBsp, KEINE Profis. Selbst Nepalesen sagen, daß der Everest zBsp aufgrund seiner extremen Höhe schwer ist - das meint übrigens sogar Andrew Lock! Aber, ja, auch das muß gesagt werden: Dennoch sind zu viele in diesen Höhen unterwegs, die unten bleiben sollten...

Frank auf unserer Facebook-Seite

Da hast Recht - das Ziel wird nicht mit eigener Leistung erreicht - das ist sehr schade, der ursprüngliche Alpinismus leidet darunter

Alexander

"Höhenbergsteigen mit Sauerstoff ist für mich wie E-biken"
Dem stimme ich absolut zu!