Interview mit einem rastlosen Geist

Philipp Reiter: "Fähigkeiten am Berg sind noch etwas Besonderes"

Er hält den Rekord in der Watzmann-Ostwand, gewann in seiner aktiven Zeit mehrere Ultratrails und bestieg die Seven Summits der Alpen in fünf Tagen auf Ski. Stillstand gibt es bei dem Tausendsassa Philipp Reiter nicht, dafür aber Kuchen!

Philipp Reiter im Interview
© The Adventure Bakery/Philipp Reiter

Philipp Reiter im Interview: Individualismus und Heimatverbundenheit

Philipp, eine leichte Frage zum Einstieg: Bist du Individualist oder Gruppenmensch?

Individualist.

Beschreibe dich in drei Worten.

Kreativ, rastlos, heimatverbunden.

Wenn du zu einem Moment in deiner Vergangenheit zurückreisen könntest: ­Welcher wäre das und warum?

Ein einziger Moment ist schwierig. Ich habe meine Karriere im Bergsport relativ früh begonnen, sowohl im Skibergsteigen als auch im Laufen. Beim Trailrunning bin ich quasi sofort in lange Distanzen eingestiegen und habe an vielen Wettkämpfen teilgenommen. Im Nachinein würde ich es ruhiger angehen.

Wenn man jung ist und viel Kraft hat, ist man versucht, so viel wie ­möglich rauszuholen. Ich war deshalb eineinhalb Jahre lang wegen einer Verletzung außer Gefecht gesetzt und das hätte nicht sein müssen. Ich würde mir also mehr Zeit nehmen und geben, weil: Es läuft nicht davon. So schnell zumindest nicht.

<p>Voller Einsatz: Für das beste Foto hebt Philipp auch mal ab.</p>

Voller Einsatz: Für das beste Foto hebt Philipp auch mal ab.

© Philipp Reiter

Vervollständige den Satz: Meine größte Leidenschaft ist …

... das Fotografieren.

Ominöser Spitzname: Warum heißt Philipp Reiter auch "der Zauberlehrling"?

Dein Spitzname lautet Zauberlehrling. Die Frage ist vielleicht ein alter Hut, weil deine Zeit als Skibergsteiger schon lange zurückliegt. Dennoch: Woher stammt er?

Der Ansprechpartner bei meinem damaligen Sponsor konnte sich keine Namen merken, deshalb hat er allen aus dem Team Quatschnamen gegeben. Es gab zum Beispiel Achilles, der immer Achillessehnenprobleme hatte oder den Högel-Geist. Der hat immer am Högel bei uns in Berchtesgaden trainiert. Der Rote Baron, der Grüne Goblin, es gab so viele!

Bei mir war es so, dass ich relativ jung mit dem Sport angefangen habe und noch viel jünger aussah. Als ich dann beim Transalpine Run einen Laufpartner hatte, der um einiges älter war und noch viel älter aussah, lief ich hinter ihm her wie der Beginner, der ich damals war. Daher der Spitzname Zauberlehrling.

Wenn man dir auf den sozialen Medien folgt, stellt man schnell fest: Du bist immer unterwegs. Was ist mittlerweile deine Haupttätigkeit? Wovon lebst du?

Hauptberuflich arbeite ich im Sportmarketing als Consultant. Anfang des Jahres wechselte ich von Salomon zu Arc'teryx. Zusätzlich bin ich freiberuflicher Fotograf, besonders im Trailrunningbereich, wo ich auch Marken berate. Das taugt mir sehr! Und zusammen mit meinem Bruder habe ich noch eine Bekleidungsmarke für witzige bunte Hosen: JUA. Und ja, das reicht eigentlich (lacht).

Philipp Reiter über Mauschelei in der Outdoor-Industrie, sein Arbeitspensum und Scheitern

Das klingt nach einem großen Pensum. Wie viele Stunden arbeitest du täglich?

Ich mache Sport, esse und arbeite. Und wenn nicht, schlafe ich.

JUA habt ihr 2016 gegründet und achtet dort sehr auf eine faire Produktionskette. Wie ist dein Eindruck in dieser Hinsicht von der übrigen Outdoor-Branche? Wird da aus deiner Sicht viel gemauschelt?

Auf jeden Fall. Aber es gibt natürlich Marken, die schon lange nachhaltig arbeiten, weil das ihre Firmenphilosophie ist. Mittlerweile ist es so, dass man etwas für die Umwelt machen MUSS. Ohne Nachhaltigkeitskonzept wird es schwierig. Du kommst nicht mehr in die Regale oder in Online-Stores. Es passiert also mehr, aber vieles ist leider noch immer mehr Marketing als Inhalt.

<p>Hosen mit Wiedererkennungswert: Bei JUA achten Philipp und sein Bruder auf eine faire Produktionskette.</p>

Hosen mit Wiedererkennungswert: Bei JUA achten Philipp und sein Bruder auf eine faire Produktionskette.

© Philipp Reiter

Positiv ist, dass das Thema Umwelt am Markt zieht, weil bei den Verbrauchern ein Umdenken eingesetzt hat. Wobei man im Bergsport sagen muss: Er ist immer noch Motorsport. Alle fahren den guten Bedingungen hinterher, auch wenn sie es nicht zugeben. Denn das öffentliche Verkehrsnetz kannst du in den Bergen vergessen – die Schweiz mal ausgenommen. Das funktioniert noch nicht.

Du hast ein ausgeprägtes Talent, dich in Themen "reinzufuchsen". Gibt es etwas, das du angefangen hast, aber krachend daran gescheitert bist?

Was mir nicht gelungen ist, war meine musikalische Entwicklung. Ich habe es mal mit Gitarre versucht – das war gar nichts (lacht). Aber sonst würde ich schon sagen, dass ich die Dinge, die ich begonnen habe und von denen ich überzeugt war, auch ausgereizt habe. Ich treibe die Sachen oft für mich auf die Spitze und pushe so weit, wie es geht. Wenn ich anstehe, nicht mehr weiterkomme oder den Gipfel erreicht habe, stelle ich mir die Frage nach dem Neuen. Höher komme ich nicht mehr? Ok, dann suche ich mir eine neue Herausforderung! Diese Suche treibt mich an – in sportlicher Hinsicht, aber auch beruflich.

<p>Philipp reizt gerne sein persönliches Limit aus, zu Fuß und auf Ski.</p>

Philipp reizt gerne sein persönliches Limit aus, zu Fuß und auf Ski.

© The Adventure Bakery/Philipp Reiter

Wenn etwas massentauglich oder zum Hype wird, interessiert es mich nicht mehr. Grundsätzlich ist mein Vorteil, dass sich Hobby und Beruf vermischen. Das ist nicht immer gut und sicher nichts für jeden, aber es kann sich lohnen, weil man viel mehr Zeit in Projekte investieren kann. Weil die Grenzen verschwimmen. Mir persönlich hat das viel gebracht.

Sag mal Philipp, was ist eigentlich dein "guilty pleasure"?

Hast du eigentlich ein Laster, von dem besser niemand wissen sollte?

Eine Unart? Jetzt, nach dem Ende meiner Profi-Karriere, ist es nicht mehr so relevant. Aber damals ging mir das nach: Ich habe schon immer brutal gerne süße Sachen gegessen. Anstatt mir etwas Gescheites zu kochen, habe ich manchmal fürs Abendessen einfach vier ­Stücke Kuchen gekauft. Ganz wild. Das war meine Schwachstelle – und ist sie nach wie vor.

<p>Eine Schwäche für Ungesundes: Philipp lässt es sich gerne schmecken.</p>

Eine Schwäche für Ungesundes: Philipp lässt es sich gerne schmecken.

© Philipp Reiter

Welche Accounts in den sozialen Medien inspirieren dich?

Im Marketing ist es immer spannend, was andere für Ideen haben. Privat begeistert mich aber kein Account voll. Ich habe generell kein Vorbild oder Idol.

Du hast derzeit 117.000 Follower bei ­Instagram. Würdest du dich selbst als Influencer bezeichnen?

Spannende Frage. Ich sehe mich nicht als Influencer, aber das ist wohl Definitionssache. Jeder, der auf Social Media aktiv ist, hat Einfluss auf andere. Bei manchen ist er größer, bei anderen kleiner. Aber jeder, der auf diesen Plattformen mitspielt, hat eine Außenwirkung. Insgesamt ist der Begriff Influencer in der Outdoor-Branche negativ behaftet, weil die Glaubwürdigkeit fehlt. Oft geben Menschen vor, etwas zu machen oder zu sein, was nicht die Realität ist.

Nur weil sie wissen, dass es gut ankommt. ­Deshalb nochmal: Nein, ich bezeichne mich nicht als Influencer. Zum einen, weil ich den Sport und wie ich ihn zeige, schon immer so betrieben habe. Ich gehe nicht auf den Berg XY, weil ich weiß, dass dort der ­Sonnenuntergang genial ist. An meiner Herangehensweise hat sich nichts geändert. Es gibt nur mehr Möglichkeiten.

<p>Philipp bestieg gemeinsam mit Adrian Zurbrügg die Seven Summits der Alpen mit Ski – in nur fünf Tagen!</p>

Philipp bestieg gemeinsam mit Adrian Zurbrügg die Seven Summits der Alpen mit Ski – in nur fünf Tagen!

© Philipp Reiter

Und das sehe ich als den zweiten Unterschied: Ein Influencer sucht nach Reichweite und möglichst viel Aufmerksamkeit, er wechselt Sponsoren und Partner wie Plakate an einer Litfaßsäule. Das ist nicht mein Ansatz. Ich bin keine Werbefläche, sondern zeige, was ich in den Bergen mache. Natürlich habe ich den Anspruch, schöne Bilder zu posten und über mich zu erzählen. Ich würde aber nie eine Tour gehen, weil ein cooles Reel dabei herauskommt. Meine Entscheidungen lasse ich nicht von dem beeinflussen, was Menschen sehen wollen.

Impressionen vom Film-Projekt "Der lange Weg" gibt's hier zum Nachschauen:

Philipp Reiter: Rekord in der Watzmann-Ostwand, Nachahmer und die Arbeit als Markenbotschafter

Es gibt einige Videos von dir, in denen man sieht, wie du durch die Watzmann-­Ostwand rennst oder über den Grat joggst. Wie stehst du zu Nachahmern?

Durch solche Leistungen wird man bestimmt in gewisser Weise zum Vorbild. Und das ist auch ein spannendes Thema, inwieweit man sich als Bergsportler für Nachahmer verantwortlich fühlen muss. Denn klar zeige ich, was möglich ist. Aber wenn Personen nicht eigenverantwortlich in diesem Gelände unterwegs sein können und es trotzdem nachmachen, stimmt etwas nicht. Diese Verantwortung weise ich darum klar von mir.

<p>Noch immer hält Philipp die Bestzeit in der Watzmann-Ostwand. In 1:52,55 Stunden rannte er vom See über die Watzmann Süd- bis zur Mittelspitze.</p>

Noch immer hält Philipp die Bestzeit in der Watzmann-Ostwand. In 1:52,55 Stunden rannte er vom See über die Watzmann Süd- bis zur Mittelspitze.

© Philipp Reiter

Auf alpin.de haben wir in der vergangenen Saison sehr häufig über Bergunfälle in den Berchtesgadener Alpen berichtet. Was sagst du als Markenbotschafter zu dem Ansturm? Ist die Region übersättigt?

Generell finde ich den Trend gut, dass mehr Menschen in die Berge gehen. Es ist aber ein Paradoxon: Man bewirbt Regionen, man bewirbt Sportarten und eigentlich möchte man allein sein am Berg, möchte Ruhe haben. Das geht nicht gleichzeitig. Dazu kommt: Es ist viel einfacher geworden, Informationen zu finden – auch über schwierigere Touren. Hier wird oft versucht, einen jahrelangen Lernprozess abzukürzen. Aber: Ich kann nicht einfach so in eine Achter-Kletterei oder in die Watzmann-Ostwand einsteigen.

Das funktioniert nicht. Ich muss Zeit investieren. Gerade in unserer Gesellschaft, in der man alles auf Mausklick haben kann und will, ist das noch etwas Besonderes. Fähigkeiten kann ich nicht kaufen, die muss ich mir mühsam aneignen. Diese Überlegung fehlt vielen. So landen Menschen auf Touren, denen sie nicht gewachsen sind. Es gehen aber insgesamt mehr Menschen in die Berge.

<p>Als Markenbotschafter seiner Heimat­stadt Bad Reichenhall hält Philipp oft die umliegende Bergwelt fest.</p>

Als Markenbotschafter seiner Heimat­stadt Bad Reichenhall hält Philipp oft die umliegende Bergwelt fest.

© The Adventure Bakery/Philipp Reiter

Social Media spielt in meinen Augen auch hier eine große Rolle: Man vergleicht sich und lässt sich beeinflussen – mitunter leider durch falsche Infos. Wenn ich mir aber im Vergleich zum Sommer- den Winterbergsport anschaue, habe ich das Gefühl, dass die Menschen beim Thema Lawinen total sensibilisiert sind. Hier ­zeigen die Aufklärungskampagnen also schon Erfolge.

Rückblick aufs Trailrunning

Deine Trailrunning-Karriere endete 2016 abrupt durch einen Unfall und eine Plantarsehnen-Entzündung. Zurückblickend ein Karrierekiller oder glückliche Fügung?

Eine glückliche Fügung! Als es passiert ist, war ich erstmal tieftraurig und hatte das Gefühl, sehr viel verloren zu haben. Ich wusste gar nicht, wie es weitergehen sollte. Aber im Nachhinein: Ich habe das Fotografieren entdeckt, konnte hinter die Kulissen der ­Outdoorindustrie ­blicken und arbeite heute in dem Bereich. Ich glaube, für mich persönlich war das viel nachhaltiger, als noch jahrelang weiter Athlet zu bleiben. Mir wurde zwar ­dieser bewusste Moment der Entscheidung abgenommen, aber insgesamt war die Verletzung sehr positiv für mich.

Du hast immer wieder historische ­Projekte verfolgt, bist etwa die Alpenfront in Südtirol abgelaufen oder die Berliner Mauer. Würdest du dich selbst als poli­tischen Menschen bezeichnen?

Ich würde sagen, nicht politisch aber geschichtsinteressiert. Ich finde unsere Historie spannend, weil sich in meinen Augen viele Themen aus der Vergangenheit wiederholen. In anderer Form, aber die Grundsätze bleiben gleich. Wenn man Geschichte versteht und das, was in der Vergangenheit passiert ist, kann man die Zukunft besser vorhersagen. Dieses Interesse mit dem Sport zu verknüpfen, macht mir total Spaß.

Bei dem Projekt zwischen Österreich und Italien habe ich die Stollen in den Felsen, die Stacheldrähte und Schützengräben gesehen. Dadurch wird die Geschichte lebendig. Und das Thema Krieg ist gerade leider aktueller denn je. Wir als junge Generation kennen nichts anderes als offene Grenzen. Das sind Privilegien, die für uns heute normal sind. Aber wenn ich in die Vergangenheit zurückschaue, ist das überhaupt nicht selbstverständlich. Meine Projekte waren der Versuch, aufzuzeigen, wie gut es uns heute geht. Und ein Versuch, dafür zu sensibilisieren, dass es auch so bleibt. Jetzt wird es doch schon fast politisch.

Planst du noch weitere große Projekte? Egal, ob im Trailrunning oder auf Ski?

Ich wollte letztes Jahr auf Ski die Pyrenäen durchqueren – vom Mittelmeer zum Atlantik. Das sind 700 Kilometer durch dieses sehr wilde Gebirge. Leider hat es dann witterungsbedingt nicht geklappt. Aber ich will es im nächsten Winter mit hoffentlich mehr Schnee nochmal angehen – gemeinsam mit zwei anderen Skibergsteigern, Jakob ­Hermann aus Österreich und Adam Campbell aus Kanada.

Letzte Frage: Was wolltest du immer mal in einem Interview gefragt werden?

Ich bin im Trailrunning- und Skitourensport voll drin und da ist – vor allem bei ersterem – viel im Umbruch. Der Prozess ist unaufhaltsam. Für beide Disziplinen finde ich diese ­Massentauglichkeit nicht unbedingt zuträglich. Wer zahlt, schafft an. Das spürt man in beiden Sportarten ­aktuell sehr stark. Das war jetzt vielleicht keine Frage, aber eine Antwort.

Impressionen zu den Seven Summits der Alpen in fünf Tagen findet ihr hier:

Steckbrief Philipp Reiter

  • Mein voller Name lautet ... Philipp Reiter.

  • Geboren wurde ich am ... 20.07.1991 in Gräfelfing bei München.

  • Gelernt habe ich … das Fotografieren.

  • Ich wohne in ... Bad Reichenhall im schönen Berchtesgadener Land.

  • Mit mir wohnt … meine Freundin Elise.

  • Social-Media-Fans habe ich … über die Jahre ein paar tausend gesammelt.

  • Mich unterstützen … Arc‘teryx, Suunto, Falke, Julbo, Bad Reichenhall und Leki.

  • Meine Website lautet …philipp-reiter.de 

  • Meine wichtigsten Erfolge sind:

    1. Sieg Transalpine Run & Zugspitze Ultra Trail 2013

    2. Red Bull "Der lange Weg" – Skidurchquerung der Alpen in 36 Tagen von Wien nach Nizza

    3. 5. Platz Skyrunning World Championship "Ultra" 2014

    4. Diverse Siege und Podiumsplatzierungen bei internationalen Ultratrails

    5. Mehrfacher Deutscher Meister Skibergsteigen

    6. Seven Summits der Alpen in fünf Tagen auf Ski

<p>Philipp ist unter anderem Foto-Autodidakt, ein sehr guter!</p>

Philipp ist unter anderem Foto-Autodidakt, ein sehr guter!

© The Adventure Bakery/Philipp Reiter

Text von Lubika Brechtel

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