ALPIN: Albert, wie entscheidest du dich auf Tour: Eher Kopf oder Bauchgefühl?
(überlegt) Bauch.
Granit oder Kalk?
Kalk.
Piazen oder Stemmen?
(überlegt) Beides. (lacht) Aber ich muss mich entscheiden, gell? Dann eher stemmen.
Albert Neuner: Bergführer und Schlosser@(zwischenHeadlineTag)>
Wie kamst du zum Bergsteigen?
Meine Mutter und mein Stiefvater haben meine Schwester und mich am Wochenende oft in die Berge mitgenommen. Und seit ich zehn war, verbrachte ich die Sommerferien als Hirtenbub auf einer Alm. Da fing die Kraxelei auf umliegende Gipfel an. Erst auf die kleinen, dann auf die höheren und irgendwann wurden die Normalwege zu langweilig. Das waren keine krassen Schwierigkeitsgrade damals. Aber dadurch kamen die Sicherheit und so ein Grundvertrauen. Für mich sind das im Rückblick die Anfänge des Solo-Kletterns.
Du arbeitest als Schlosser und führst nur nebenberuflich. War die Ausbildung zum Bergführer für dich alternativlos?
Ja, das war mir schon von klein auf klar. Aber nicht wegen des Berufs, sondern wegen der alpinen Ausbildung. Ich wollte im Technischen fit sein – für mich selbst. Früher waren zudem die Achttausender eine Motivation. Dort wollte ich gern auf Expedition, ohne viel Geld auszugeben. Und wenn man führen kann, geht die Rechnung quasi auf: Ich komme rauf und verdiene sogar dabei. Gemacht habe ich es nie, aber die Idee war da.
Welcher Achttausender hat dich besonders gereizt?
Am liebsten hätte ich sie alle abgeklappert – so schnell wie möglich und mit Ski. Aber der Massentourismus dort taugt mir nicht. Die Bilder davon. Und es wird immer mehr und mehr. Ich frage mich, ob das auf Dauer gut gehen kann. Deswegen habe ich die Idee verworfen. Vielleicht ergibt sich mal eine Speedbegehung, aber ich habe nichts Konkretes geplant.
Wieso hast du einen Hauptberuf abseits der Berge gewählt?
Das liegt daran, dass ich lieber für mich unterwegs bin. Hauptberuflich führen wäre nichts für mich. Dadurch verliert man den Spaß daran, in der Freizeit an den Berg zu gehen. Ich höre das von vielen Kollegen. Bei mir ist es anders: Ich arbeite tagsüber und freue mich in der Früh schon, dass ich nach Feierabend Gas geben kann.
Also führst du gar nicht so häufig?
Ich führe schon, aber eher anspruchsvolle Sachen. Am liebsten sind mir Anfragen, bei denen ich selbst gefordert bin und auch auf meine Kosten komme. Zum Beispiel so etwas wie die Eiger-Nordwand. Diese klassischen Sachen wie Glockner oder Wildspitze taugen mir nicht so. Die Matterhorn-Nordwand habe ich auch schon mit einem Gast gemacht. Gerade die speziellen Touren mache ich nur mit Stammkunden. Und das sind wenige. Man kann die Gäste für Ziele mit diesem Anspruch an einer Hand abzählen.
Interessante Infos zum Thema Bergführer erfahrt ihr in unserer Bildergalerie:
Wer ist eigentlich Albert Neuner?@(zwischenHeadlineTag)>
Du lotest gerne die Grenzen der Geschwindigkeit aus. Tom Dauer schrieb, dass du bei idealen Bedingungen unter 1 Std. 30 Min. die knapp 1500 Hm zum Gipfel der Hohen Munde in Auf- und Abstieg zurücklegst. Wie ist es, wenn du mit einem Gast unterwegs bist? Fällt dir das Warten schwer?
Das geht. Dann bin ich darauf eingestellt und weiß, dass an diesem Tag alles langsamer geht. Privat bin ich gerne mit Freunden schnell auf Tour. Wenn jemand Zeit hat. Sonst schon auch oft allein, z. B. wenn ich direkt nach der Arbeit starte.
Was machst du, wenn du gerade nicht in den Bergen bist?
Das ist eine gute Frage. (lacht) Dann gehe ich spazieren oder bin auf der Suche nach neuen Ideen. Stillstand gibt es bei mir nicht. Oder selten. Selbst wenn es regnet und man eigentlich nichts machen kann, gehe ich raus.
Stand für dich mal im Raum, Profibergsteiger zu werden?
Nein, gar nicht. Ich hatte auch nie Anfragen, auch, weil ich die Aufmerksamkeit nicht gerne auf mich lenke. Sponsoring ist für mich nicht interessant, weil eine Gegenleistung erwartet wird. Wenn ich total viel posten müsste, um Equipment zu bekommen, wäre das gar nichts für mich.
Dein letzter Post auf Instagram ist ja auch schon ewig her ...
Ja, der ist schon lange her. (Zieht Smartphone älteren Modells aus der Hosentasche und checkt die App). Das war bei der Wetterstein-Überschreitung 2020. (lacht)
Albert Neuner: Rekord am Wettersteingrat@(zwischenHeadlineTag)>
Dir gelang die Überschreitung des gesamten Wettersteingrats in 21 Stunden und 49 Minuten. Wurdest du dafür kritisiert, keinen Track mitlaufen zu lassen?
Ja klar. Es kam schon der Vorwurf. Aber ich habe Fotos von Wegpunkten, auf denen die Zeit vermerkt ist. Und ich habe mich mit Namen und Uhrzeit in die Gipfelbücher geschrieben. An der Unteren Wettersteinspitze, dem ersten Gipfel war ich gegen 21 Uhr. Dort schrieb ich, dass ich noch einen weiten Weg vor mir habe.
Wie gelangte der Rekord an die Öffentlichkeit?
Für einen Film von ServusTV über das Wettersteingebirge war ich free solo im Schüsselkar zu sehen. Danach führte Tom Dauer ein Interview mit mir. Darin musste ich einige Touren verraten, sonst hätte das Gespräch ja keinen Sinn gemacht. Dadurch kam die Überschreitung erst an eine etwas größere Öffentlichkeit. Ich glaube, dass im Bergsport viel Unwahres behauptet wird. Bei Leistungen, die mir wichtig sind, mache ich Fotos. Dadurch habe ich den Beweis und die Zeit, zumindest auf die Minute genau.
Bist du häufig mit Neid konfrontiert?
Ja, Neid bekomme ich schon zu spüren. Im direkten Gespräch selten, aber ich erfahre es über Dritte. Die Szene ist nicht sehr groß – da sind Neider schnell bei der Hand. Wenn man Rekorde von anderen pulverisiert, ist das natürlich eine Watschn. Aber mit Freunden spricht man über Dinge, die man macht – ist ja normal. Und dadurch ziehen die Informationen ihre Kreise.
Aber je mehr Menschen davon erfahren, desto mehr wird alles verfälscht. Das ist zumindest meine Erfahrung. Deshalb habe ich beschlossen, bei Touren wie dem Wettersteingrat selbst zu erzählen, statt Gerüchte herumschwirren zu lassen. Denn sonst stimmt die Hälfte nicht oder Fakten werden verdreht.
Kennt ihr alle Meilensteine des Alpinkletterns? Hier erfahrt ihr mehr:
Wie hast du dich vorbereitet?
Vorbereitet habe ich mich in dem Sinne, dass ich mir Depots eingerichtet habe. Aber mehr nicht. Mein Ziel war, die Tour aus eigener Kraft schnellstmöglich zu gehen und zu schauen, was möglich ist. Meinen ersten Versuch musste ich wegen Regen abbrechen. Erst nach vier Wochen war das Wetter wieder besser. In der Zeit sind allerdings das Wasser und die Äpfel schlecht geworden.
Zum Glück hatte ich auch jeweils eine Flasche Cola deponiert. Die war noch trinkbar (lacht). Ein paar Kleinigkeiten hatte ich dabei, habe aber viel weniger gebraucht als gedacht. Auf der Zugspitze wollte ich mir Wasser kaufen und etwas Richtiges essen, aber die Schlange war endlos. Da bin ich doch lieber weiter. Das wäre mir fast zum Verhängnis geworden, weil ich ziemlich dehydriert war.
Dir gelang in der Matterhorn-Nordwand fast dieselbe Zeit wie dem Rekordhalter Dani Arnold. Reizt es dich, schneller zu sein als andere?
Bei so Touren musst du für einen Rekord auf die optimalen Bedingungen warten. Dafür bin ich zum einen viel zu weit weg und zum anderen gibt es vor Ort Alpinisten, die genauso schnell sind. Was bringt mir ein Rekord, den ich maximal für eine Woche halte? Für mich war wichtiger, die Tour mal gemacht zu haben.
Albert Neuner: Passion Free Solo@(zwischenHeadlineTag)>
Wenden wir uns deiner Leidenschaft dem Klettern zu. Du bist bis zum oberen achten Grad seilfrei unterwegs. Was gibt dir das?
Schon als kleiner Junge auf der Alm war ich ungesichert am Berg. Das habe ich irgendwann auf Klettertouren übertragen. Free solo bedeutet für mich komplette Freiheit. Es gibt nur dich selbst und du spürst, wie intensiv das Leben ist. Das hat für mich einen Reiz, ja, einen Kick. Darum mache ich es immer wieder.
Macht das Gefühl süchtig?
Hat es gemacht, ja. Wobei ich langsam vom Gas runtergehen will. Ich glaube, ich habe mein Limit erreicht. "Locker vom Hocker" war für mich die bisher wertvollste Tour ohne Seil. (Anm. d. Red. Locker vom Hocker an der Schüsselkarspitze ist eine der ersten alpinen Routen im achten Grad. Sie wurde 1981 von der Seilschaft Güllich/Albert erstbegangen.) Das war ein großes Ziel für mich. Natürlich geht es immer schwieriger, aber man muss abwägen, wie viel Sinn eine Steigerung macht. Je schwieriger du seilfrei kletterst, desto schmaler wird der Grat.
Da reicht schon ein kleiner Fehler. Ich habe es mittlerweile so oft gemacht, dass der Kick nicht mehr derselbe ist. Früher kam ich beim Solo-Klettern immer in einen Flow-Zustand. Jetzt hat sich das Gefühl abgenutzt. Ich merke das dadurch, dass ich viel lockerer bin, mich im Kopf nicht mehr so lange vorbereite, ich am Tag der Tour nicht mehr diese Anspannung fühle. Das ist wohl Routine.
Versteh mich nicht falsch, Respekt habe ich immer noch. Aber dieser nachlassende Fokus erhöht die Gefahr abzustürzen deutlich. Ich merke: Je öfter ich eine Tour seilfrei gemacht habe, desto weniger bin ich bei der Sache. Weil die Bewegungen schon so eingespielt sind. Ich weiß nicht, wie ich finden soll, dass ich das an mir beobachte. Der Reiz war früher auf jeden Fall größer.
Da war ich wirklich auf jeden Zug fokussiert, auf jede Sequenz. Mittlerweile schweifen die Blicke in leichteren Passagen schon mal in die Landschaft. Oder ich mache ein Foto. Auf die Idee wäre ich früher nie gekommen. Am liebsten würde ich wieder dahin zurück, als ich in die Tour einsteige, sie klettere und erst danach wieder mit dem Denken anfange. Mittlerweile reißen mich die Gedanken aus dem Moment. Das bringt mich aus dem Rhythmus und stört mich.
Sagst du jemandem Bescheid, wenn du so schwierige Touren gehst?
Nein. Damit nehme ich mir selbst den Druck. Wenn ich die Tour ankündigen würde, kann ich für mich keinen Rückzieher mehr machen. Dann kommt die Frage nach dem "Wann" und ich muss mich festlegen. Und so, wenn ich mich nicht traue oder etwas dazwischenkommt, weiß es keiner. Das ist mir lieber. Komisch, oder? Eigentlich wäre es ja keine Schande zu sagen, dass ich etwas doch nicht gemacht habe.
Hast du etwas gefunden, das dem Kick beim Free-Solo-Klettern nahekommt?
Was mich noch reizen würde ist Basejumpen. Das Gefühl dabei muss wirklich cool sein. Aber an sich taugt mir das Klettern schon am meisten.
Wie geht deine Familie damit um, dass du so wilde Sachen machst?
Die wissen nichts (lacht herzlich). Dadurch, dass mein Vater bei einer Lawine gestorben ist, war das Berggehen für meine Mutter immer ein sehr sensibles Thema, vor allem Skitouren. Sie saß immer wie auf Nadeln, wenn ich "ausgerückt" bin. Aber auch vom Soloklettern habe ich ihr lange gar nichts erzählt. Erst durch den Film übers Wetterstein hat sie davon erfahren.
Interview mit Albert Neuner: "Ohne Seil stehe ich nie still"@(zwischenHeadlineTag)>
Bist du auch beim Eisklettern seilfrei unterwegs?
Ja, schon viel. Eigentlich klettere ich im Winter mehr Wasserfälle ohne Seil als mit.
Warum?
Weil ich dann nicht so lange warten muss. Es ist ja kalt. (lacht) Bei uns hier sind die Wasserfälle eh nicht so lang. Viel mache ich deshalb schnell nach der Arbeit. Ohne Seil bleibe ich immer in Bewegung, stehe nie still. Das gefällt mir.
Wie ist es mit Steilwandskifahren – auch was für dich?
Früher schon, jetzt nicht mehr so viel. Vor allem seit ich mit dem Fliegen angefangen habe. Gleitschirmfliegen ist schön, weil man im Bergsport viel damit kombinieren kann. Ich fliege zum Beispiel gerne an den Linien entlang, die ich früher mit Ski abgefahren bin. Aber ich habe schon so viel mit den Skiern gemacht, dass ich mittlerweile lieber damit aufsteige und fliege.
Die schönste Steilabfahrt ist für mich die King Line (45-53°/650m) an der Hochwand. Diese Linie wollte ich unbedingt schaffen, eine faszinierende Wand. Ich kann sie direkt von meinem Fenster aus sehen. Da musste ich lange auf die passenden Bedingungen warten. Bei der Wetterstein-Überschreitung war es ähnlich. Die hatte ich sehr lange im Kopf. Im Winter 2013 habe ich die Überschreitung allein in drei Tagen gemacht. Als Michi Wohlleben dann im Sommer 2018 die Tour am Stück gegangen ist, war das für mich der Auslöser, sie selbst endlich anzugehen.
Gehst du eigentlich auch einfach mal wandern?
Hm. (lacht) Selten.
In welcher Ecke bist du abgesehen vom Wetterstein am liebsten unterwegs?
In den Dolomiten bin ich gerne. Patagonien ist auch cool. Da war ich schon zwei Mal, Cerro Torre, Fitz Roy. Aber das ist weit weg und mühsam mit den Zustiegen. Die Warterei. Anders als hier bist du dort extrem exponiert. Du bist vollkommen auf dich, deinen Partner oder andere Bergsteiger angewiesen. Das muss man im Hinterkopf behalten. Im Himalaja wäre der Aufwand noch größer: Zustiege, Camps, Anreise. Bis man da zum Bergsteigen kommt, vergeht viel Zeit. Die nutze ich lieber hier.
Mit wem würdest du gerne mal auf Tour gehen?
(Überlegt lange) Mit meinem Vater. Und dann runterfliegen, er mit seinem Drachen und ich mit dem Gleitschirm. Das wäre cool. (Anm. d. Red. Albert Neuners Vater starb nach einem Lawinenabgang an der Gehrenspitze, als Albert ein halbes Jahr alt war.) Mein Vater war ein wilder Hund. Nicht im Bergsport, aber sonst im Leben.
Alles über die großen Nordwände der Alpen lest ihr in unserer Fotogalerie:
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