Exklusiv-Interview aus dem Basecamp

Jost Kobusch: "Bergsteigen ist ein Sport mit echten Konsequenzen"

ALPIN-Redakteur Andreas Erkens sprach mit Jost Kobusch exklusiv per Videocall ins Basecamp über Kritik von außen, Angst und Nachhaltigkeit im Expeditionssport.

Jost Kobusch im Exklusiv-Interview aus dem Basecamp.
© Daniel Hug

Mit 24 Jahren stand er auf einem Achttausender. Die Kritik von Reinhold Messner, er betreibe nur Ankündigungsalpinismus, interessiert Jost Kobusch wenig. Er sagt: "Wer nur auf das hört, was andere sagen, macht auch nur das, was andere wollen."

Jost Kobusch wuchs in Ostwestfalen auf. Seine Liebe zum Bergsport entdeckte er beim Klettern in der Schule. Bekannt wurde er durch die Aufnahme der großen Lawine im Everest-Basecamp, die er filmte. Sein Ansatz sind schwierige Solo-Begehungen großer Berge. Zuletzt versuchte er Anfang des Jahres 2022 erneut eine Winter-Solo-Besteigung des Everest.

<p>Jost Kobusch beim Everest Zustieg im Jahre 2019 in der Khumbu Region.</p>

Jost Kobusch beim Everest Zustieg im Jahre 2019 in der Khumbu Region.

© Daniel Hug

ALPIN-Redakteur Andreas Erkens sprach im Januar 2022 mit ihm per Videocall ins Basecamp.

Jost Kobusch im Interview: Frage und Antwort

Jost, zum Aufwärmen einige Wortpaare und Satzglieder. Bitte antworte spontan.

Chamonix oder Himalaya?

Himalaya, weil das Bergsteigen dort für mich einfach die Königsdisziplin ist. Für mich ist es das Größte. Es gibt Leute, die würden jetzt sagen: "Chamonix, da findest du die geilsten Touren auf der Welt!“ Aber für mich ist das Weltniveau irgendwie dann doch im Himalaya zu haben.

Sommer oder Winter?

Winter. Weil’s nochmal schwieriger ist.

Familie oder Ferne?

Die Paare sind ja alle so schwierig! Hm, Ferne. Ich entscheide mich für die Expedition.

Kinder oder Karriere?

Karriere definitiv. Ich hab ja mich als Kind, da brauch ich nicht noch ein weiteres.

Leidenschaft oder Lebensunterhalt?

Leidenschaft. Ich bin davon überzeugt, dass man das tun sollte, was man liebt, und dann wird der Lebensunterhalt von alleine kommen.

Kritik an meinen Zielen von anderen ist für mich …?

Irrelevant.

Was ich am meisten vermisse, wenn ich solo auf Expeditionen bin ist …?

Mein schön warmes, kuscheliges Bett.

<p>Jost Kobusch 2020 am Everest Westgrad.</p>

Jost Kobusch 2020 am Everest Westgrad.

© Daniel Hug

Glück erlebe ich …?

… wenn ich das akzeptiere, was ist.

Jost Kobusch im Interview: Zukunftsvision

Wo siehst du dich von heute an in zehn Jahren?

Ich glaube, nach unserem Interview brauche ich keine Psychotherapie mehr. Dann könnte ich durchaus ein neues Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen haben. Was auch immer dieses Kapitel sein wird, aber ich werde es mit der gleichen Leidenschaft verfolgen wie das jetzige.

Und bergsportlich?

Zehn Jahre sind für jemanden in meinem Alter schon sehr viel. Darum ist das ganz schwierig zu sagen. Es könnte durchaus sein, dass sich mein Bergsteigen nach einer gewissen Zeit mehr zum Plaisir hin entwickelt. Weil ich in dann vielleicht die Schnauze voll habe von diesen extremen Leidensgeschichten. Vielleicht aber auch nicht? Das müsst ihr als Psychotherapeuten doch jetzt genauer wissen.

Du sagst, du hast aus deinen Fehlern vom letzten Mal gelernt und fühlst dich jetzt massiv besser vorbereitet als 2019. Zuletzt hastdu in Chamonix 30 - 40 Stunden pro Woche trainiert. Was konkret?

Zum Beispiel Mixed Klettern am Triangle de l’amitié. Solo Mixed Klettern. Letztendlich wollte ich mit der Ausrüstung unterwegs sein, die ich auch am Everest nutze. In dem Fall habe ich also spezifischer trainiert, habe Mixed-Routen solo geklettert, Eisgeräte benutzt und so weiter. So fühlt es sich am Everest nachher mehr nach Routine an.

Jost Kobusch im Interview: Mentale Stärke und Kritik

Worin liegt deine Stärke?

Ich kann mich mental voll fokussieren. Dieser Fokus ist meine Stärke. Und darum bin ich auch absolut leidensfähig.

<p>Jost Kubusch im winterlichen Everest-Basecamp 2020.</p>

Jost Kubusch im winterlichen Everest-Basecamp 2020.

© Daniel Hug

Das heißt, du bist dieses Mal allein, abgesehen von den Leuten in Lobuche?

Ab dem Basecamp ja. Natürlich arbeite ich mit Trägern, die meine Ausrüstung dorthin bringen. Aber für mich beginnt eine Besteigung immer erst am Fuß des Berges. Ansonsten kann man ja alles Mögliche definieren: zum Beispiel Sea-to-Summit mit Beginn auf Meereshöhe.

Stündest du heute da, wo du jetzt bist, wenn du 2015 nicht das Video von der Lawine am Everest gepostet hättest?

Ich denke schon. Das mit der Lawine war ja wirklich nur so ein bisschen wie das letzte Papier aufs Feuer schmeißen: einmal kurz große Flamme und wieder weg.

Lest hier alles über die Besteigungsgeschichte des höchsten Bergs der Erde:

Was sagt deine Familie zur Kritik anderer Berg-Profis an Dir?

<p>Jost Kobusch.</p>

Jost Kobusch.

© Daniel Hug

Also ganz realistisch betrachtet: Leute, was ein Messner oder Göttler sagt, kriegt meine Familie gar nicht mit. Das ist ja wirklich absolut "nieschig". Messner kennen sie vielleicht noch, einen David Göttler sicher nicht. 

Und wenn sie dann irgendwas hören, lachen sie vermutlich darüber. Aber natürlich machen sie sich Sorgen, dass mir etwas passiert, weil sie mein Projekt mittlerweile besser verstehen. Einfach, weil Bergsteigen ein Sport ist mit echten Konsequenzen. Es ist eben kein Fußball.

Jost Kobusch im Interview: Angst als Antrieb

Du sagst, du bist ein sehr analytischer Mensch. Wie gehst du mit dem Thema Angst um?

Also alle Angst ist letztendlich zurückführbar auf die Angst vor dem Tod oder existenzielle Angst, wenn man so möchte. Es gibt prinzipiell Situationen, Stellen, Teile am Berg, wo ich Angst habe, ganz klar. Ich bin ein Mensch und wenn ich diese Angst spüre, nutze ich sie. 

Also, ich zieh‘ sie an wie ein T-Shirt, nehme sie in mich auf und mach sie zu meinem Diener. Angst erzeugt Fokus, Angst erzeugt Performance. Ich habe keine Angst vor der Angst. Das, was ich am Everest versuche, wäre ohne Angst nicht möglich. Sie versetzt mich erst in die Lage, so lange fokussiert solo unterwegs sein zu können.

Banale Frage: Hast du dein Testament gemacht?

Ja, und ich habe sogar – Achtung Geheimtipp – eine Vorsorgevollmacht und Generalvollmacht miteingeschlossen. Das bedeutet, dass auch, wenn ich z. B. verschollen sein sollte, in meinem Fall ein Familienmitglied Geschäfte in meinem Namen tätigen und Dinge organisieren kann. Ich habe mir da vor ein paar Jahren schon mal intensiv Gedanken gemacht. Das ist alles geregelt.

Jost Kobusch im Interview: Expeditionen und Nachhaltigkeit

Als Profis hast du eine gewisse Vorbildfunktion – auch in Sachen Nachhaltigkeit. Jetzt ist aber Expeditionsalpinismus und Projektieren an einem 8000er mit 2, 3, 4, 5 Versuchen sicherlich nicht der nachhaltigste Bergsport, den man betreiben kann. Wie gehst du damit um?

<p>Jost inmitten des gesammelten Mülls im Everest Basecamp.</p>

Jost inmitten des gesammelten Mülls im Everest Basecamp.

© Daniel Hug

Ich habe dieses Jahr in Genf zusammen mit Freunden eine NGO gegründet. Bei "Mountain Synergies" beschäftigen wir uns tatsächlich intensiv damit, Expeditionsbergsteigen systematisch nachhaltiger zu gestalten. 

So haben wir etwa ein Müllhandbuch erstellt, mit einer detaillierten Analyse, wie man in diesem Thema nachhaltiger unterwegs sein kann. Das werde ich jetzt auch in der Praxis erproben. Aber das ist nichts, wo unbedingt Jost Kobusch draufstehen muss. 

Das ist einfach ein Herzensthema von mir. Und am Ende brauchen wir Ergebnisse. Zudem habe ich eine Partnerschaft mit "Wilderness International". Gemeinsam entstand daraus der erste CO2-Rechner für Expeditionen. Der ist ganz frisch online unter thankyounature.

An solchen Schritten arbeite ich systematisch. Das wäre etwas, was mich vielleicht überdauert als Vermächtnis. Denn die Wildnis ist für mich die Essenz für Alpinismus und Exploration und darum möchte ich sie auch für zukünftige Generationen erhalten, damit sie die gleichen Erfahrungen machen können wie ich jetzt!

Quiz: Teste dein Achttausender-Wissen