In der Gaststube von Josef Leiter in Rein im Tauferer Tal wird es langsam voll. Auch Sohn und Tochter wollen beim Gespräch dabei sein. "Alle haben geschmuggelt", sagt der Hotelier vorsichtig. Er ist über 80, seine Augen schauen uns von unten an, kurz blitzt darin ein Lächeln auf. Wir ahnen, das wird nicht einfach. "Uns hat er das nie so genau erzählt", raunt Kurt, Leiters Sohn, mir zu. "Vorsichtig hat man schon sein müssen", sagt der Vater, der damals einfach Trippoch Seppl hieß. Einmal im Jahr geht er noch seinen Schmugglerweg über das Frankbachjoch ins Zillertal. Wie 1954, als er angefangen hat, mit 24.
Geschmuggelt wurde, was es hüben oder drüben nicht gab oder was billiger zu haben war. Lebensmittel und Wein nach Österreich, Tabak, Zigarettenpapier und Feuerstein, der Süßstoff Saccharin, "Zackrin", sagt Josef Leiter, Salz und Felle, oft auch Kühe nach Italien. Von Innsbruck wurden die Waren zu den Almhütten hinaufgebracht und dort in Kraxen und Rucksäcke umgeladen. In der Nacht stapften die Träger dann los.
Tragen musste einer können.@(zwischenHeadlineTag)>
Vigil Kuprian war 15, als ein Bekannter aus dem Dorf ihn ansprach, "ob ich ihm helfe, Sachen herüberzutragen". Von seiner Pension in Pfelders im Passeiertal sieht er jeden Tag den Berghang, hinter dem das Ötztal liegt. Mit dem Zeigefinger zeichnet er in der Luft seine Route zum Rotmoosjoch nach, im freien Gelände an der Zwickauer Hütte vorbei, wo die Zöllner, die italienischen Finanzer, Wache schoben. 1933 haben Schmuggler dort drei Finanzer erschossen. Diese Geschichte sitzt den Passeirer Schmugglern im Nacken, auch noch in den 1960er Jahren, als Kuprian loszog: "Aber es hat mich einfach gekitzelt."
Nach dem Krieg herrschte auf den Höfen lange die blanke Not. "Am Hof hat man nichts verdient. Und andere Arbeit gab es nicht", erinnert sich Vigil Kuprian. 9.000 Lire sei ein Monatslohn am Hof gewesen, ein Paar Schuhe habe 12.000 Lire gekostet. Gelernt habe er auch nichts, "als wäre die Lehrerin in der zweiten Klasse gestorben". Aber tragen konnte er. Mit sieben mussten die Bergbauernbuben schon Heu schleppen und Holz tragen.
Auf den Bergen kannten sie vom Schafe- und Ziegenhüten jedes Loch und jeden Stein. Kuprian: "Einmal übergehen brachte gleich viel ein wie drei Monate als Hofknecht zu arbeiten." Dafür nahmen die Schmuggler in Kauf, am Bach entlang sechs bis sieben Stunden durch Wald, Fels und Schnee zu steigen. Wie die Gämsen. Mit Rucksäcken oder Kraxen, die voll beladen 20 und 30 Kilo wogen. "A ti amol auch mehr", sagt Josef Leiter.
Wenn das Wetter gut war, zogen die Schmuggler los.@(zwischenHeadlineTag)>
Geschmuggelt wurde nachts. Tagsüber wurde am Hof gearbeitet. "Ich war der Älteste. Bis Mittag war ich auf dem Feld, damit man mich gesehen hat", erinnert sich Josef Leiter. Danach startete er. Meistens allein, "da brauch‘ ich nur auf mich aufzupassen". Um fünf Uhr morgens, wenn am Hof das Tagewerk begann, musste er zurück sein. Zwei Mal in der Woche sei er schon über die Jöcher gegangen, schätzt Josef Leiter. "Wie’s Wetter war", sagt Vigil Kuprian. Damals gab es keinen Wetterbericht, in Pfelders hatte auch niemand ein Radio. Wenn der Wind von Norden hereinzog, wurde das als gutes Wetter gewertet. Gegangen wurde zu jeder Jahreszeit. Manchmal auch im Winter. Auf 3.000 Meter Höhe war die Luft rein, wenn die Zöllner nicht Wind von der Sache kriegten.
Hauptsache, der Mond ging auf. "Licht konnte man ja nicht machen", erzählt Vigil Kuprian. Er hatte einen Auftraggeber und war deshalb oft mit drei vier anderen Schmugglern unterwegs. Die Ausrüstung war miserabel. Wollhandschuhe, die in der Kälte gefroren, Gletschereisen, um über die schwierigsten Passagen drüber zu kommen, gesichert an einem Heuseil um den Bauch, wenn’s gar nicht anders ging. Kuprian: "Das Seil hat einem alles abgeklemmt." Da die genagelten Schuhe auf dem Gletschereis Funken schlugen, gingen die Männer gewisse Strecken barfuß. Kuprian hatte eine andere Idee: "Ich hab meine Wollsocken ausgezogen und außen über die Schuhe drübergespannt."
Mit einem Fuß waren die Schmuggler im Grab, mit einem im Gefängnis.@(zwischenHeadlineTag)>
In der Gruppe hielten die Schmuggler hundert Meter Abstand voneinander. Falls einer von ihnen erwischt werden sollte, konnten sich die anderen noch in Sicherheit bringen. Gefahr drohte von allen Seiten: In der Hütte saßen die Zöllner, in der Natur lauerten die Gletscherspalten. "Pass auf. Mit einem Fuß bist du im Grab, mit dem anderen im Gefängnis", sagte Kuprians Ziehvater immer. Auch er war Schmuggler, machte mit seinen Söhnen gemeinsame Sache. Den Ziehsohn ließ er von einem anderen anheuern.
Nicht immer ging alles gut. 1957 hat es Josef Leiter erwischt. Er war im November, noch vor dem großen Schnee, mit seinem Cousin unterwegs. Beim Abstieg auf der österreichischen Seite löste sich ein Schneebrett. Leiters Cousin wurde verschüttet, Josef Leiter selber schleppte sich schwer verletzt bis zur nächsten Hütte. "22 Stunden bin ich gekrochen", erzählt er leise. "Am schlimmsten war der Durst." Am schlimmsten war, dass der Luis, sein Cousin, nicht zu retten war, und dass er, Josef, ihn am Berg zurücklassen musste. Das sagt Leiter nicht. In seinen Augen schwimmen die Tränen. Darin eingesperrt seine Erinnerungen. "Wir sind auf der Suche nach Arbeit", sagte er damals den Gendarmen. Vom Schmuggeln kein Sterbenswörtchen.
Die ganze Geschichte über die beiden Schmuggler lesen Sie auf: wasunsbewegt.com/schmuggler
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