Als Jost Kobusch im vergangenen Jahr seinen Plan einer Solo-Winterbesteigung des Everest by fair means publik machte, war das Echo in der alpinen Szene eher verhalten.
Warum sollte ausgerechnet einem 27-jährigen Studenten, der bis auf die Annapurna (8.091 m) noch keinen Achttausender bestiegen hat, ein Vorhaben gelingen, bei dem sich manch "profilierterer" Alpinist in den vergangenen Jahrzehnten die Zähne ausgebissen hatte?
"Ich wünsche ihm natürlich, dass er gesund zurückkommt, aber ich glaube, er hat keine Chance. Das ist zu hoch gegriffen", sagte beispielsweise Hans Kammerlander. Und Reinhold Messner, die andere große Bergsteiger-Legende aus Südtirol, sah für Kobusch gar die Stunde der Wahrheit gekommen. Am Everest müsse er zeigen, "was er wirklich drauf habe", so der 75-Jährige.
Kobusch selbst bemühte sich im Vorfeld seiner Expedition, die Messlatte etwas niedriger zu hängen.
"Es fühlt sich bedeutungsvoller an, als etwas zu tun, das schon jemand gemacht hat. Wenn es klappt, dann wissen wir: Menschen sind dazu in der Lage. Und auch wenn ich es nicht schaffe, ist es eine Erkenntnis. Das Schlimmste ist: Wenn du das Ziel erreichst, dann tötest du es. Ich suche mir Ziele, die länger halten. Das Everest-Ziel ist so krass, dass es beim ersten Anlauf wahrscheinlich nicht funktioniert", erläuterte der gebürtige Bielefelder in einem Interview mit stern.de Ende September 2019.
Und er sollte recht behalten. Auf einer Höhe von 7366 Metern entschied sich Kobusch für den Abstieg. Immerhin: So hoch wie der 27-Jährige kam in der Wintersaison 2020 niemand sonst - das müssen auch die Kritiker des Deutschen anerkennen.
Stefan Nestler hat Jost Kobusch für seinen Blog Abenteuer-Berg interviewt.
Was war für dich die größere Herausforderung: alleine unterwegs zu sein oder die extremen Wetterbedingungen?
Für mich war der Wind die größte Herausforderung. Er ist unheimlich stark und erforderte eine andere Herangehensweise: Wo baue ich mein Lager auf, wie befestige ich es? So viel Wind erlebst du sonst nicht. Dagegen ist das Frühjahr geradezu Strandurlaub.
Auf dem Westgrat und auch schon auf der Westschulter ist man dem Wind besonders ausgesetzt. Muss man sich dann noch genauer den Wetterbericht ansehen, um nicht vom Berg geblasen zu werden?
Ja, man schaut schon, wo die Spitzen in der Windkurve sind. Dann solltest du im Basislager sein. Es gibt dort oben einige Stellen, wo du das Zelt eingraben kannst. Ich habe zusammen mit dem Hersteller Ferrino einen Zelt-Prototypen entwickelt, der mit vier Stangen besonders stabil und extra auf diese Bedingungen abgestimmt ist. Aber ich muss gestehen, dass ich erstmals auf einer Expedition wirklich alle verfügbaren Schnüre eingesetzt habe, um das Zelt abzuspannen. (lacht)
Alex Txikon, der in diesem Winter zum dritten Mal auf der Everest-Normalroute unterwegs war, berichtete über immer deutlicher spürbare Auswirkungen des Klimawandels. Wie hast du das erlebt?
Ich habe keinen Vergleichswert, aber intuitiv würde ich ihm voll zustimmen. Einer der Gletscher in der Region war im Vergleich zu meinem Besuch vor vier Jahren deutlich geschrumpft. Die großen Eistürme im oberen Bereich waren einfach nicht mehr da. Mitten im Winter gab es warme Tage, an denen alles geschmolzen ist und ein Bach durchs Basislager floss.
Wie hast du die Kletterschwierigkeiten auf deiner Route bis zur Westschulter erlebt?
Die Schlüsselstelle würde ich mit dem Schwierigkeitsgrad 6b bewerten. Das war schon interessant. Ich bin ja im Daunenanzug geklettert, mit Handschuhen, die ich ausklappen konnte, sodass nur die Finger herausschauten und eher leichten Bergschuhen, dazu rope solo (Klettern mit Seilsicherung ohne Partner). Ich muss gestehen, dass ich zwischendurch einige Bauchschmerzen hatte, zumal es über den unteren Teil der Route keine Informationen gab. Das war mental eine Herausforderung. Auch zu wissen, dass ein Sturz nicht so angenehm ausgehen würde. Aber nachdem ich diese ersten Felskletterpartien überwunden hatte, lief es immer glatter. Je höher ich an der Westschulter kam, desto sicherer fühlte ich mich, weil es technisch immer leichter wurde.
Du bist an der Westschulter bis auf eine Höhe von 7366 Metern aufgestiegen. Bist du an dieser Stelle umgekehrt, weil du dein vorher gesetztes Ziel 7200 Meter erreicht hattest oder war es ein Bauchgefühl?
Es war eher Intuition. Die Stelle ist der Beginn des oberen Westgrats. Wenn man dort oben steht, muss man erst wieder ein kleines Stück absteigen. Es ist wie ein kleiner Gipfel mit einer traumhaften Aussicht. Ich wusste, ich bin zu spät dran. Ich hätte diesen Punkt Anfang Februar erreichen müssen, anschließend eine Nacht auf 7500 oder besser noch 8000 Metern verbringen, wieder absteigen, Kraft tanken und dann den Gipfelvorstoß machen. Diese Nacht in sehr großer Höhe war für mich essenziell. Also wusste ich: Selbst wenn ich jetzt weitergehe, werde ich nicht den Gipfel versuchen, weil eben diese Bedingung nicht erfüllt ist. Ich habe eine Risikoanalyse gemacht, und meine Intuition sagte mir: Jost, du gehst jetzt nach Hause.
6 Kommentare
Kommentar schreibenJost Kobusch ist ein aufmerksamkeitsbedürftiger Dampfredner, der - wie geplant - gescheitert ist.
So einen Dampfplauderer muss man erst mal suchen
Hallo, „dereine“, schade, dass Du nicht sachlich bleibst. Völlig zurecht berichten Alpin, Stefan Nestler und weitere (Fach-)Medien weiterhin über Jost. Eine 6b im Rope Solo mit Expeditionsbergstiefeln, 7366 Meter im Winter Solo und ohne Sauerstoff, dazu im ersten Versuch: all das ist sehr, sehr beeindruckend, und zeigt, dass Jost mittlerweile zumindest erweiterte Weltspitze ist. Jost kam sogar höher als Txikon, der auf dem einfacheren Normalweg unterwegs war, und Txikon ist Creme de la Creme.
Jost ist ein...[Schimpfwort von der Redaktion entfernt].
Lasst euch nicht blenden.
@Frank: Wir haben die entsprechende Passage verbessert. Sorry und danke für den Hinweis.
Stark. 7366 Meter bei Schwierigkeiten bis 6b erreicht. Jost hat sich stark präsentiert. Achttausender-Erfahrung hatte er übrigens: Annapurna-Besteigung...