Nach Prag möchte an diesem Freitag auf dem Marienplatz keiner. Sie wollen nach Venedig. Und das, obwohl die Wanderung dieses Jahr eigentlich nach Tschechien hätte gehen sollen: "Bei geraden Jahreszahlen nach Prag, bei ungeraden nach Venedig", sagt Ludwig Graßer, "Erfinder" des Weitwanderweges "München-Venedig". "Venedig hat sieben Buchstaben, deswegen geht es in ungeraden Jahren dahin." Das scheint den elf Wanderern egal zu sein. Trotz der ungeraden Jahreszahl starten sie die klassische Tour nach Venedig.
1974, also vor genau 40 Jahren, erfand der fast 90-jährige Graßler aus Wolfratshausen den Weitwanderweg: In vier Wochen von der Isar ans Mittelmeer. Tausende sind ihm mittlerweile auf seinen Spuren gefolgt. Für einen gemeinsamen Start treffen sich sogar jedes Jahr am 8. August um acht Uhr Wanderer aus ganz Deutschland auf dem Marienplatz. Sie wollen die erste Etappe gemeinsam in Angriff nehmen. Einige von ihnen gehen nur ein paar Tage mit, andere die ganzen 28 Tage bis zum Markusplatz.
Rund 50 Menschen haben sich am Freitag auf dem Marienplatz versammelt, elf von ihnen wollen Richtung Venedig. Manche sind dafür weit gereist: Andrea Schwarz kommt aus Bremen. Für sie ist es die erste lange Tour im Gebirge. "Ob ich es bis nach Venedig schaffe, das weiß ich nicht", sagt die 46-Jährige. Viel Gepäck hat sie nicht dabei. Gerade mal acht Kilo wiegt ihr Rucksack. "Ich muss das ja alles über die Alpen schleppen."
Andere sind gekommen, um die Wanderer zu verabschieden oder in alten Erinnerungen zu schwelgen. Vor 20 Jahren ist Peter Dürschmid mit drei weiteren Männern los gezogen. Aus seiner Hosentasche zieht er ein paar zerknitterte, alte Fotos. Sie zeigen braungebrannte, junge Männer mit großen Rucksäcken. "Die beiden anderen sind damals schon in Scharnitz ausgestiegen", sagt Dürschmid und zeigt ein Bild von ihm und drei weiteren Männern. "Die hatten Blasen." Er lacht. Dürschmid habe den Weg damals nach Venedig geschafft. Zu einer Reportage zu "München - Venedig" kommen Sie hier.
Die erste Etappe des Weitwanderweges geht von München nach Wolfratshausen. Mit der S-Bahn braucht man dafür eine knappe dreiviertel Stunde, zu Fuß acht Stunden. Wer sich die flachen Kilometer lieber sparen will, der startet erst in Bad Tölz. Von dort es über die Tutzinger Hütte Richtung Karwendel. In den Zillertaler Alpen wird es mit der Friesenbergscharte wieder hochalpin. "Man darf die Route nicht überschätzen," sagt Helmut Knechtel. 1976 habe er als einer der Ersten die Tour mit seinem Wanderfreund auch gemacht. "Über Nacht hatte es im Zillertal geregnet", erinnert er sich. "Alles war vereist, und es ging 400 Meter in die Tiefe. Da habe ich gebibbert."
Ludwig Graßler ist von München insgesamt fünf Mal nach Venedig gewandert. 1977 veröffentlichte er das Buch "Zu Fuß über die Alpen" zum ersten Mal. Noch heute sind die überarbeiteten Bücher von Ludwig Graßler die Basisliteratur für den Weg nach Venedig. Ob der fast 90-Jährige nächstes Jahr die Wanderer am 8. August um acht Uhr wieder verabschiedet, das weiß er noch nicht. "Vielleicht macht das dann die nächste Generation."
Text und Bilder: Rabea Zühlke
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