Eva-Maria Sperger ist ein Phänomen. Erst mit Mitte 30 stieg sie ins Geschehen bei Trailwettkämpfen ein und reiht seitdem Top-Platzierung an Top-Platzierung. Sie gewann beispielsweise den Großglockner-Ultratrail in Streckenrekordzeit, wurde Deutsche Meisterin im Ultratrail und siegte beim Adamello Ultratrail, Ultra-Trail Lamer Winkel, Chiemgauer 100 und beim Arberland Ultratrail. Folgerichtig kürte sie das Trail-Magazin zwei Mal in Folge zur "Trailläuferin des Jahres".
Doch Eva ist nicht "nur" eine echte Rakete auf den Trails, sondern auch eine versierte Bergsportlerin und geht anspruchsvolle Berg- und Skitouren.
Darüber hinaus ist sie beruflich als Psychotherapeutin tätig. Sie befasst sich mit den Themen Meditation und Achtsamkeit und wie sich Erkenntnisse daraus für ihre Leidenschaften am Berg nutzen lassen.
Alles in allem eine hochinteressante Gesprächspartnerin, weswegen unser Portalmanager Holger das Angebot von Evas Sponsor gerne annahm, die Münchnerin am Rande des Presse-Events "75 Jahre Salomon" zu interviewen.
Interview mit Trailläuferin Eva-Maria Sperger@(zwischenHeadlineTag)>
ALPIN: Eva, Du warst am letzten Juni-Wochenende beim Lavaredo Ultra Trail am Start. Erzähl uns von Deinem Rennen mit 120 Kilometern und krassen 5.800 Höhenmetern.
Eva Sperger: Ich war für das Rennwochenende super motiviert. Die Woche zuvor war ich bei einem Seminar mit Jon Kabat-Zinn. Während dieses Schweigeretreats stellte ich mir in der Meditation die Frage: "Warum stelle ich mich da eigentlich an die Startlinie?". Und habe gemerkt, dass ich zu 100 Prozent dabei sein möchte! Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass irgendwas schief geht. De facto war es aber so, dass ich von Anfang an extreme Magenschmerzen hatte. Ich weiß auch nicht, woher, eigentlich habe ich alles bedacht, alles korrekt gemacht. Ich habe dann überlegt, ob ich nach gut 40 Kilometern aussteige. Letztlich entschied ich mich, noch eine gute Strecke zu schaffen und bin dann raus (nach über 100 Km, d. Red.), als ich gemerkt habe, ich kann jetzt nur noch gehen.
Du erzählst das recht entspannt. Wie groß ist die Enttäuschung?
Möglicherweise hat mittlerweile die buddhistische Praxis ein bisschen gegriffen. Ich schaue immer auf das Thema "Dankbarkeit" und bin sehr dankbar, dass ich das Training durchziehen und unverletzt an die Start-Linie gehen konnte, dass ich dann bei wunderschönem Wetter mit Freunden in den Dolomiten hundert Kilometer gelaufen bin und danach rausgekommen bin und mich nicht verletzt habe, keine Blase, nichts und einfach nur aufgeben musste. Bis dahin gekommen zu sein, ist so viel! Da ist so viel Gutes, auch wenn ich in dem Moment, als ich aufgehört habe, kurz geheult habe.
Der Buddhismus lehrt einen, es gibt gute Zeiten und schlechte Zeiten und wenn ich gerade in der guten bin, dann kommt eine schlechte und wenn ich in einer schlechten bin, kommt wieder eine gute ...
Du hast Psychologie studiert und bist beruflich als Psychotherapeutin tätig. Welchen Vorteil bringt Dir Dein psychologisches Wissen, wenn Du auf den langen Trails unterwegs bist? Und was bringen Dir Deine Erfahrungen im Trailrunning für die Arbeit als Psychotherapeutin mit Deinen Klient:innen?
Meine Erfahrungen im Sport und mein Wissen in der Psychologie befruchten und ergänzen sich wechselseitig. Aus beiden Bereichen ziehe ich ein Verständnis von der Wechselwirkung von Psyche und Körper, das mir einerseits auf den langen Trails hilft und mich andererseits in die Lage versetzt, das Emotionssystem meiner Klienten zu verstehen und ihnen abseits von schnellen Ratschlägen wie "tu dies", "tu das", oder "sieh's doch mal so" in der Tiefe helfen zu können.
Wieviel Stunden trainierst du in der Woche und wieviel bist du beruflich tätig?
Ich arbeite Vollzeit. Als Psychotherapeutin kann man nicht länger als sechs Stunden am Tag voll konzentriert zuhören, dazu kommt aber dann noch Büroarbeit und Berichte schreiben. Training ist 12, 15, 18 Stunden je nach Phase. Dazu kommt "sich um kleine körperliche Baustellen kümmern", Stretching, zum Physiotherapeuten gehen... Schon viel. Das geht nur, wenn Du extrem fokussiert bist. Die Ressource "Zeit" wird da auch mal knapp, manchmal schaffe ich es nicht mal, schnell eine WhatsApp-Nachricht zu beantworten.
Du hast viele große Siege und Top-Platzierungen bei verschiedenen nationalen und internationalen Trailwettkämpfen gefeiert. Dabei bist Du von Deiner sportlichen Vita her eine Spätberufene beim Trailrunning, hast erst 2015 den ersten Wettkampf gemacht. Was hat dich ohne großen läuferischen Hintergund auf den Trails so schnell so erfolgreich werden lassen?
Ich habe mich das tatsächlich auch gefragt und inzwischen ein paar Antworten gefunden ... Früher habe ich intensiv Thaiboxen betrieben, war mehrere Male in Thailand und wenn man da am Anschlag trainiert, 10, 20 Mal auf den Sandsack haut, dann macht man Intervalltraining, und zwar sowas von! Und wenn Du viele Jahre (Seil-)Springen trainierst, hat das auch einen immensen Effekt auf Sehnen und Bänder ...
Und dann die Bergtouren, die ich gemacht habe: Wir waren auf unseren Hoch- und Skitouren immer viele, viele Stunden unterwegs, haben zum Beispiel die Mont-Blanc-Überschreitung gemacht, da waren wir 13 Stunden am Berg unterwegs. Oder wir sind vom Gardasee von München mit dem Rennrad gefahren. Meine Touren waren immer sehr lang, Grundlagenausdauertraining vom feinsten ... Zudem habe ich vom Berg ein hohes Maß an Trittsicherheit mitgenommen, was mir auf den Trails vor allem beim Downhill enorm hilft.
Bei einem Straßenmarathon wäre ich sicher nicht vorne dabei, aber für die Trails bringe ich vieles mit, was hilft, ganz vorne mitlaufen zu können.
Neben den vielen großen Erfolgen hast Du auch einige weniger schöne Dinge bei Trailwettkämpfen erlebt. Vorne dran ist hier sicher der Ultra-Trail du Mont-Blanc. 2019 musstest Du beim UTMB schweren Herzens nach 135 Kilometern und in aussichtsreicher Position aufgeben. Auch 2021 musstest Du vorzeitig – dieses Mal nach 145 Kilometern – aussteigen, es ging Dir körperlich gar nicht gut. Zwei herbe Enttäuschungen. Was tust Du, um solche Erlebnisse gut wegzustecken?
Die zwei UTMB waren komplett unterschiedlich. Beim ersten Mal war ich auf Platz 4, Platz 5, habe aufs Tempo gedrückt und bin dann voll gegen die Wand gelaufen. Da ging gar nichts mehr. Beim zweiten Mal bin ich sehr langsam angegangen und habe Kraft gespart. Dann war es einfach eine Magengeschichte, die mich rausgeholt hat, die habe ich nicht absehen können.
Verkraftet habe ich das auch deswegen sehr gut, weil ich mich drei Wochen später für den Adamello Ultra Trail angemeldet habe und das Rennen tatsächlich gewinnen konnte!
Insgesamt muss man sagen, dass ein Finish oder gar auf vorderen Plätzen anzukommen, bei Ultratrails und erst recht beim UTMB nicht wirklich planbar ist. Du kannst beim UTMB alles tun, um Dich bestens vorzubereiten. Aber es gibt niemals eine Garantie, dass Du am Tag des Rennens tatsächlich die 171 Kilometer und rund 10.000 Höhenmetern gut durchkommst. Man muss das rational sehen und das tue ich auch: Es ist normal zu scheitern. Wenn es einfach wäre, wenn das Risiko zu scheitern nicht so extrem hoch wäre, dann wäre es ja auch nicht so toll, den UTMB zu schaffen!
Du könntest ja jetzt einfach sagen "es hat zweimal nicht geklappt und die 171 Km sind zu hart, ich geh da nicht mehr hin". Warum stellst Du Dich auch dieses Jahr wieder an den Start? Ist man erst ein "kompletter" Trailrunner, wenn man dort mal gefinisht hat?
Prinzipiell "muss" man den UTMB nicht laufen, es gibt genug andere tolle Rennen.
Ich glaube, dass man sich als Athlet fragen muss, wofür man wirklich brennt. Ich habe mich in der Meditationswoche, gefragt: "Warum will ich wieder zum UTMB? Will ich das wirklich?". Es kamen Bilder in mir auf und ich habe mich im letzten Anstieg vor Chamonix gesehen und ich wusste, ich will da hin, ich will an diesen Punkt! Das löst wirklich Emotionen in mir aus, selbst jetzt kriege ich eine Gänsehaut bei dem Gedanken!
Ich habe mich auch gefragt, wie ich in drei Jahren auf die Entscheidung "UTMB - ja oder nein" zurückschauen würde. Bin ich glücklich, wenn ich in den Spiegel sehe und denke: "Hey voll stark, dass Du es gelassen und Dich auf einen anderen Weg gemacht hast?".
Und ich merke, wenn ich das einfach sein hab' lassen, dann dreh ich mich weg, dann sagt mein Körper "nein, nein das musst du nochmal versucht haben"! Und dafür nehme ich in Kauf, wieder zu scheitern und mich bis auf die Knochen zu blamieren.
Ich kenne Bergmenschen, für die sind Trailläufer:innen eher Läufer:innen, die auch mal in den Bergen laufen, aber keine "richtigen" Bergsportler:innen. Ist Trailrunning für Dich eine Bergsportdisziplin oder ist es letztlich doch "nur" anspruchsvolleres Laufen?
Wenn man einen Waldlauf macht oder auf den Isar-Trails unterwegs ist, dann kann man das sicher als Laufen bezeichnen. Wenn man allerdings an den Berg und in schwieriges Gelände geht und sich dort laufend oder in Kletterpassagen so schnell wie möglich vorwärtsbewegt – dann ist das was anderes und definitiv Bergsport. Da würde ich schon einen Unterschied zum Laufen machen ...
2020 bist Du mit Deinem Partner von Garmisch nach Chamonix gelaufen. Ihr hattet euch vorgenommen, die höchste mögliche Linie zwischen Start- und Endpunkt zu wählen und habt dabei in 23 Tagen 720 Kilometer und 55.000 Höhenmeter überwunden. Wenn du diese Erfahrung von Freiheit und Abenteuer mit dem ja doch relativ starren Korsett eines Wettkampfes vergleichst, was reizt dich dann mehr?
Ich finde, das Abenteuer ist die Königsdisziplin. Über die Wettkämpfe kann man sehr viel Fitness aufbauen und die Konkurrenz bringt einen dazu, an die Leistungsgrenze zu gehen. Diesen Druck hat man im Bergsport nicht, weil man nicht in direkten Vergleich mit den anderen Bergsportlern steht. Dafür kann man sich unglaublich weiterentwickeln. Bei solchen Projekten, wie unserer Alpenüberquerung mussten wir uns selbst hinsetzen und überlegen, wie die Route verlaufen soll und wie lange eine Etappe dauern kann oder darf. Das ist spannend und für mich die Königsdisziplin. Aber das eine muss das andere ja nicht ausschließen: Viele laufen Wettkämpfe und machen aber auch ihre eigenen Projekte.
Wir sind jetzt hier auf einer Salomon-Veranstaltung. Salomon ist Dein Sponsor. Wie kann man sich eine Unterstützung durch einen Sponsor bei einer Trailläuferin wie Dir vorstellen? Schließlich ist Traillaufen kein Breitensport, wie etwa Fußball. Es gibt unter euch sehr wenig Voll-Profis, die nur davon leben können.
Sowas hängt natürlich stark davon ab, was der Athlet mit dem Sponsor verhandelt. Da ich voll berufstätig bin, ist die finanzielle Seite des Sponsorings eher vernachlässigbar bei mir. Das Equipment dagegen hilft mir persönlich immens. Mich versorgt mein Sponsor hauptsächlich mit Kleidung und Equipment.
Eva, letzte Frage: Du bist 42 Jahre, kannst national und international gut um den Sieg mitlaufen. Nun ist Traillaufen zum Glück ein Sport, in dem sehr lange dabei sein kann. Dennoch die Frage: Wie lange kannst du ganz vorne noch mithalten?
Das ist so eine Sache (lacht). Mein Verstand sagt mir, ich bin jetzt 42 und natürlich spiegelt mir auch mein Umfeld mein Alter und mein Verletzungsrisiko steigt usw. Das ist aber nur die eine Seite.
Auf der anderen Seite spielen sich viele Aspektes des Alters im Kopf ab. Man kann den Umgang mit dem Älterwerden beeinflussen und ich kann viel tun, dass ich erfolgreich bleibe. Und es gibt positive Beispiele, Kolleginnen laufen mit Mitte 50 beim UTMB in die Top Ten! Es gibt und gab in der Geschichte so viele Frauen, denen man Dinge nicht zugetraut hat, bis sie es getan haben. Aber klar, ich werde älter und ich werde sicher nicht mit 80 irgendwelche Marathons gewinnen. So realistisch bin ich dann schon.