Die Freude hätte riesengroß sein sollen. Nach mehr als 100 langen Trekking-Kilometern kamen wir endlich in unserem Basislager auf 5000 Meter über dem Meer an. Der erste Eindruck: ziemlich besch...eiden. Wenn Andi und ich den Reißverschluss unseres Zelts öffnen, dann sehen wir direkt auf das Army Camp. Dieser Anblick trieb mir anfangs sogar Tränen in die Augen.
Die pakistanische Armee hat am vergletscherten Fuße von Gasherbrum I und II einen Müllberg angehäuft. Darauf stehen 13 weiße Iglus aus Polyester. Hier halten zig Hochgebirgssoldaten das ganze Jahr lang Stellung. Wie in einem schlechten Science-Fiction-Film sieht das aus. Ist aber leider Realität. Der Kaschmir-Konflikt lässt grüßen. Ein Hubschrauber wollte nicht mehr anspringen, aber anstatt ihn zu entsorgen, dient er eben zur „Dekoration“. Dass andere Expeditionen Plastik, Gaskartuschen und anderen Müll zurücklassen, vervollständigt diese Sauerei. Ein trauriges Bild, das für uns so gar nicht in diese geniale Szenerie passen will.
Blick zum Hidden Peak
Weil es auch keine gute Idee ist, sich die Stimmung durch diesen Ausblick zu vermiesen, drehen wir uns in die andere Richtung: Der Hidden Peak (Gasherbrum I) versteckt sich nicht immer und zeigt zwischen den Schneefällen manchmal scheu sein Gesicht. Gigantisch!
Das verrückte Labyrinth
Unser Ziel, der 8034 Meter hohe GII, versteckt sich noch. Erst müssen wir durch ein Labyrinth aus abartig zerklüfteten Gletscherspalten, um ihn zu Gesicht zu bekommen. Eine Woche haben die bereits anwesenden Expeditionen gebraucht, um diese knifflige Passage zwischen Basislager und Lager I lösen zu können. Gestern gelang der „Durchstoß“. Danke für die Vorarbeit, Jungs! Nach zwei Rasttagen im Basecamp (die Magen-Darm-Sache erweist sich bei mir als besonders hartnäckig) folgten wir den Spuren durch den Eisbruch.
Wahnsinn, dieser Gletscher hat eine andere Dimension als alles, was wir bisher in den Alpen gesehen haben! Hochhaushohe Türme aus Eis, fragile Brücken aus Schnee, versteckte Tümpel aus Gletscherwasser stellen sich immer wieder kreuz und quer - einmal geht’s links, dann wieder rechts, das ist ein stundenlanges Auf und Ab mit einer Hand voll senkrechter Eiskletterstellen. Morgen wollen wir voll bepackt zum Lager I auf etwa 5900 Metern aufbrechen und dort schlafen.
Adam und Kaffee
Das Basecamp hätten wir uns anders vorgestellt gehabt: Es ist kein "Massenlager", die Zelte der einzelnen Expeditionen stehen auf einem Moränenrücken über hunderte Meter verteilt. Ruhe statt Hektik herrscht bei uns - und das ist gut so. So gehen wir eben auf Nachbarschaftsbesuch: Adam Bielicki schenkt uns Kaffee ein und schildert die dramatische Rettungsaktion vom Nanga Parbat und erzählt vom Sturm vor einigen Jahren bei seiner G1-Winterbesteigung, als der kaputte Militärhubschrauber einige Meter durch die Luft gewirbelt ist und seither auf dem Kopf steht. Ein Italiener, der vor wenigen Wochen den Laila Peak mit Skiern befahren hatte, kommt nass bis auf die Unterhose vom Eisbruch zurück - er ging in einem Gletschersee unfreiwillig baden und schildert die wilden Szenen.
Was sonst noch geschah
Eine kleine Reise für sich ist bereits der Weg zum Fuße der gigantischen Gasherbrum-Range. Der sieben Tage lange Zustieg ist andauernd ein Augenschmaus, aber zwischendurch kein Honigschlecken. Für alle Beteiligten. Ein Muli stürzt in eine Gletscherspalte (eine große Porter-Mannschaft kann es retten), wir verarzten den Finger eines Trägers sowie den Rücken eines Pferdes, das auf der Moräne abgerutscht ist.
Zwei Träger brauchen Ibuprufen wegen Kopfweh, auch unser Liaison Officer. Wir haben bessere und schlechtere Tage - der Körper spürt die Höhe und Anstrengung, keine Frage. Vom Kopfweh blieben wir bisher verschont, nur die schlechte Wasserqualität schlägt sich auf den Magen.
Wow-Effekte am laufenden Band
Das Karakorum hat pausenlos Wow-Effekte zu bieten. Auf einem Moränenhügel im Lager Goro II können wir nur noch staunen: Masherbrum, Gasherbrum IV und der Gipfelaufbau vom Broad Peak umringen uns und leuchten in der Abendsonne. Wow… das ist das Karakorum, so wie wir uns das vorgestellt haben!
Besonders bewegend ist unsere Ankunft auf dem Konkordiaplatz. Für 20 Minuten lichten sich die Wolken vor dem K2 so wie sich der Vorhang für ein großes Schauspiel öffnet. Diese mächtige Pyramide aus Fels und Eis übt eine immense Anziehungskraft und Magie auf uns aus. Auch der weitere Weg verläuft genial - selbst wenn es manchmal unglaublich ist, dass der fast überhängende Schutt, nur durch Dreck zusammengehalten, neben unseren Pfadspuren nicht zusammenbricht.
Unwirklich und unwirtlich ist diese Gegend. In einem kleinen Seitental reihen sich ein Teufelsgrat, eine Badilekante, ein Palüpfeiler und noch fünf weitere geniale Linien dicht nebeneinander. Und dann taucht die Chogolisa auf, der Schicksalsberg von Hermann Buhl. Haben wir’s schon gesagt? Wow.
"Goatfried" hat uns leider verlassen
Und sonst so? Unsere Ziege Goatfried ist mittlerweile zerstückelt und im Eis begraben. Ein paar Bissen seiner gegrillten Leber liefern zumindest Andi wichtiges Eisen. Marlies lässt lieber die Finger davon. Dass er den einen Tag noch neben uns im Essenszelt meckerte und am nächsten Tag sein geschlachteter Körper ebendort zwischenlagerte (ganz Pakistani-Style), während wir direkt daneben frühstücken, das verträgt sich nicht mit jedem Magen…
Einmal auf dem Gipfel eines Achttausenders stehen. Welcher Bergsteiger hat ihn nicht, diesen Traum? Für Marlies Czerny und Andreas Lattner soll er in diesem Sommer Wirklichkeit werden, noch dazu "by fair means". Aber nicht nur das: Im Rahmen ihrer Pakistan Expedition möchten die beiden Österreicher nicht nur den Gasherbrum II (8.034m) besteigen, sondern mit dem Sechstausender Laila Peak wahrscheinlich auch einen der schönsten Berge der Welt.
Mehr zu Marlies und Andreas und den Verlauf ihrer Pakistan Expedition findet Ihr auf www.hochzwei.media. Dort lest Ihr auch alle bisher veröffentlichten Blog-Beiträge in vollständiger Länge.
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