So viele Länder dieser Welt haben Berge, auf die wir steigen könnten – gelandet sind wir ausgerechnet in Pakistan. Der Hochburg des Terrorismus, dem Geburtsland der Taliban, dem Staat zwischen Korruption und Karakorum. "Habt ihr da keine Angst?", wurden wir mehrmals gefragt – das bezog sich weniger auf unser 8034 Meter hohes Expeditionsziel Gasherbrum II, sondern mehr auf die hohe Unsicherheit im islamischen Staat. Unser "Nein" wurde mit Sorge quittiert. Ihr müsst doch Angst haben!
Ist es Angst, wenn uns am Flughafen mit Kalaschnikov bewaffnete Polizisten und Soldaten begrüßen, wenn wir mit Kurtas bekleideten Männern und mit Burkas verhüllten Frauen begegnen? Nein, für uns ist es ein Zustand der Fremde, den wir als gegeben annehmen wollen. Nur so können wir dem Land mit den wunderbar wilden Gletschern und Gipfeln ohne Furcht, dafür mit Freude begegnen. Maschallah!
Böser Blick, liebes Lächeln
Wenn wir in die Gesichter der Pakistani blicken, schauen uns große Augen an. Wir Westliche fallen auf im Bergstädtchen Skardu, es kommen verschwindend wenige Bergsteiger vorbei aufgrund der instabilen Lage des Landes. Seit dem Terroranschlag auf das Basislager des Nanga Parbat im Jahr 2013 sind es noch weniger Besucher. Anstatt uns mit einem mulmigen Gefühl vom bösen Blick wegzudrehen, lächeln wir die Menschen auf den Märkten an. Und sie? Sie lächeln zurück.
Doch keine Terroristen also. "Nice, that you visit our country", treten uns Männer mit überraschender Freundlichkeit entgegen. Die verschleierten Frauen, von denen wir vergleichsweise wenige sehen, ziehen hingegen ihr Kopftuch enger über ihr Gesicht. Sie zu fotografieren, das ist nicht erlaubt.
Ramadan und andere Sitten
Es ist noch wenige Tage Ramadan, der strenge Fastenmonat im Koran. Die Muslime dürfen nichts essen zwischen Sonneaufgang und Sonnenuntergang, nichts trinken, nicht rauchen, keinen Sex haben. "Manchmal ist das hart", erzählt uns Mushtaq, er bezieht es vermutlich auf das Essen. Bald begleitet er als Basecampmanager eine Gruppe zum K2. Der K2 ist der pakistanische Berg, zu dem sich heuer die meisten Expeditionen aufmachen. Ins gemeinsame Basecamp von Gasherbrum I und II dürften in den nächsten Tagen insgesamt neun Gruppen aufbrechen.
Als Reisende sind Mushtaq und sämtliche Träger vom Fasten ausgenommen, ebenso Schwangere und Kranke, aber sie müssen die versäumten Ramadan-Tage nachholen. Eine andere Kultur, die wir kennenlernen – darum schlüpfen wir auf Mushtaqs Hinweis auch von der kurzen in die lange Hose. Wir gehen auf den Markt, um noch Schokolade einzukaufen.
50 Stunden Anreise
Islamabad sei sauber und ein Sicherheitstrakt, erfahren wir, das Kennenlernen mit der pakistanischen Hauptstadt haben wir aber übersprungen, da wir den Anschlussflug in Istanbul versäumt hatten (wir Dumpfbacken waren zu lange im Kaffeehaus gesessen…).
Somit flogen wir einen Tag verspätet direkt vom Flughafen Islamabad nach Skardu. Zum Glück war das Wetter schön, nur bei Sicht fliegen die Maschinen nah am Nanga Parbat vorbei und tauchen ein ins Skardu-Tal, das von 5000 Meter hohen Bergen gesäumt wird.
Ansonsten hätte sich unsere Anreise auf dem Karakorum Highway um weitere zwei Tage im Auto verlängert. Ein Jahr Vorbereitung und 50 Stunden Reisemarathon lagen somit zwischen unserer Haustüre in Oberösterreich und dem Hotelzimmer in Skardu – eine 8000er-Expedition ist schon vor dem ersten Schritt zum Berg eine riesengroße Sache.
Was der Kaschmir-Konflikt für uns heißt
Morgen fahren wir fünfeinhalb Stunden über holprige Straßen bis Askole, dem letzten Dorf, bevor uns zu Fuß 100 Kilometer bis ins Basislager bevorstehen. Zwei Ungarn, zwei Ukrainer, zwei Russen – mit ihnen teilen wir uns das Permit -, ein Koch und sein Gehilfe, 40 Träger, Esel und Pferde begleiten uns dorthin; auf dem Gasherbrum II und Laila Peak sind wir dann auf uns alleine gestellt.
Der pakistanischen Armee, der sechstgrößten der Welt, dürften wir selbst im hintersten Winkel des Karakorums noch mehrmals begegnen. Ein Liaison Officer wird uns von der Regierung verpflichtend zur Seite gestellt (bezahlen müssen wir ihn), auch er kommt mit. Er überwacht uns, damit wir die militärischen Sperrzonen nicht betreten. Wir sind in Kaschmir unterwegs, noch immer sind Teile umstritten und ungeregelt zwischen Pakistan, Indien und China. Ein schwelender Konflikt bis über die 8000er-Grenze hinaus.
Wir freuen uns, wenn wir die staubige Stadt hinter uns lassen, endlich die wunderbaren Berge des Karakorums sehen, den Baltoro-Gletscher betreten und davor noch in strahlende Kinderaugen blicken, wenn wir ihnen unsere mitgebrachten Buntstifte schenken. Viele Pakistani haben nicht viel, aber mehr als manche Menschen, die sich so gut wie alles leisten können: ein Lächeln.
Einmal auf dem Gipfel eines Achttausenders stehen. Welcher Bergsteiger hat ihn nicht, diesen Traum? Für Marlies Czerny und Andreas Lattner soll er in diesem Sommer Wirklichkeit werden, noch dazu "by fair means". Aber nicht nur das: Im Rahmen ihrer Pakistan Expedition möchten die beiden Österreicher nicht nur den Gasherbrum II (8.034m) besteigen, sondern mit dem Sechstausender Laila Peak wahrscheinlich auch einen der schönsten Berge der Welt.
Mehr zu Marlies und Andreas und den Verlauf ihrer Pakistan Expedition findet Ihr auf www.hochzwei.media. Dort lest Ihr auch alle bisher veröffentlichten Blog-Beiträge in vollständiger Länge.
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