Sie sind erst vor wenigen Wochen zurückgekehrt und die Erinnerungen sind noch frisch. Wie war es, als Sie den Gipfel erreicht hatten?
"Das war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, endlich auf dem Gipfel zu stehen. Ich habe meinen großen Lebenstraum erfüllt, alle 14 Achttausender zu besteigen. Zum Schluss war eigentlich nur noch der K2 im Vordergrund. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass ich irgendwann da oben stehen darf, nachdem ich so oft umkehren musste."
"Die letzten Tage am Berg waren sehr anstrengend, wir hatten viel Schneefall und sind nur sehr langsam vorangekommen. Bis meine Kameraden nachgekommen sind, war ich etwa 15 Minuten alleine auf dem Gipfel und habe mit Ralf über Funk gesprochen. Ich war so glücklich, dass ich diesen Moment mit dem Ralf teilen konnte."
Fällt man in ein Loch, wenn man sein großes Lebensziel erreicht hat?
"Ganz und gar nicht. In ein Loch werde ich wahrscheinlich nie fallen. Jetzt brauchen der Ralf und ich noch etwas Ruhe und müssen erst mal durchschnaufen. Wir wissen, dass wir im Frühling wieder aufbrechen wollen. Aber es gibt noch kein konkretes Ziel. Es stehen noch so viele Berge an, die man gerne besteigen möchte. Die Ziele gehen uns sicher nicht aus. Man müsste steinalt werden, wenn man das alles schaffen wollte. Das Bergsteigen wird unser Leben lang unsere große Leidenschaft bleiben."
Höhenbergsteigen ist ein extrem gefährlicher Sport. Wie gehen Sie mit dem Risiko um?
"Wir wissen schon, dass ein gewisses Risiko da ist. Wir versuchen das, so gut es geht, zu umgehen und zu minimieren. Wir bereiten uns wirklich intensiv auf jedes Projekt vor und haben über die Jahre viel Erfahrung gesammelt. Passieren kann immer wieder und überall was. Ob im Himalaya, im Karakorum oder bei uns in den Bergen – da sind wir uns schon bewusst, dass immer ein Restrisiko bleibt."
Sie haben selbst Bergdramen erlebt, etwa 2010, als Ihr Expeditionspartner Fredrik Ericsson am K2 in den Tod stürzte. Viele würden da verzweifeln und alles hinwerfen. Wie schaffen Sie es, solche Erlebnisse zu verarbeiten und weiterzumachen?
"Ich habe schon einige Freunde am Berg verloren. Das sind sehr traurige Momente, die einem lange nachgehen. Mir ist aber nie in den Sinn gekommen, dass ich deswegen mit dem Bergsteigen aufhöre. Wir wissen, wir gehen da freiwillig hin, wir wissen, dass wir dieses Restrisiko haben. Aber das haben wir überall. Vielleicht kann ich anders damit umgehen, weil ich in meinem Familienkreis traurige Momente erlebt habe, als Leute verstorben sind, die nichts mit riskanten Situationen zu tun hatten."
In den letzten Jahren haben Sie viele Expeditionen mit Ihrem Mann unternommen. Was hat er für eine Bedeutung für Ihre Projekte?
"Der Ralf ist selbst Profibergsteiger und hat alle Achttausender bestiegen. Wir haben viele Expeditionen miteinander gemacht und sind oft gemeinsam am Gipfel gestanden. Mir ist es ganz wichtig, dass ich mit dem Ralf unterwegs sein kann. Er ist einfach mein liebster Mensch – am Berg und im normalen Leben."
Verzichtet er für Sie auf eigene Projekte?
"Ralf hat 2009 mit dem Lhotse seinen letzter Achttausender bestiegen und er war schon auf dem K2. Jetzt war die Motivation für ihn nicht so groß wie bei mir, auf den Gipfel zu kommen. Trotzdem hat ihn der K2 total begeistert. Er wollte immer einmal zur Nordseite, den Anmarsch und die Route zu erleben – aber es stand für ihn nicht im Vordergrund, den Gipfel zu erreichen. Der Ralf möchte den Everest ohne Flaschensauerstoff besteigen. Da hoffe ich, dass ich ihn unterstützen kann."
Bei spektakulären Besteigungen stehen die Bergsteiger im Mittelpunkt. Im Hintergrund ist aber sicher eine ausgefeilte Organisation nötig...
"Das stimmt, wir sind am Berg nur mit einem kleinen Team unterwegs und man spricht immer von denen, die in Richtung Gipfel aufbrechen. Aber es sind eine ganze Menge Menschen beteiligt. Ohne die Leute im Basislager, im Büro zu Hause oder unseren Charly Gabl (Meteorologe aus Innsbruck, d. Red.), wäre so ein Projekt nicht möglich."
Sie haben vor Ihrem K2-Gipfelerfolg auf über 8000 Metern biwakiert. Wie überlebt man eine Nacht bei eisigen Temperaturen? Ist da überhaupt an Schlaf und Erholung zu denken?
"Es ist wahnsinnig kalt gewesen. Ich habe ein kleines Thermometer am Rucksack und es hatte minus 27 Grad. Schlafen kann man da nicht. Aber ich kann mich zum Glück in den unmöglichsten Situationen noch für einen Moment entspannen. Eine körperliche Erholung ist das nicht mehr. Aber der Kopf spielt eine große Rolle. Ich versuche, mich völlig zu entspannen, mal an nichts zu denken. Das ist das, was mir dann wieder die Kraft gibt, weiterzumachen. Körperlich ist man nach den vielen Tagen total ausgelaugt. Deshalb ist es wichtig, dass man in sich reinhört, ob es noch geht."
Am K2 waren Sie mit drei Männern unterwegs. Arbeiten Sie lieber mit Männern zusammen?
"Am liebsten gehe ich mit meinem Mann. Man muss sich gut kennen – die Stärken und Schwächen – und man muss wissen, man ist mit gleich starken Personen unterwegs, die Eigenverantwortung haben. Ich war schon mit Frauen unterwegs, aber es hat sich einfach so entwickelt, dass momentan meine Bergpartner Männer sind."
Gibt es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Bergsteigern?
"Ja schon. Ich denke, Männer sind eher so, dass sie sich sagen, ich muss da unbedingt rauf. Frauen hören mehr in ihren Körper hinein und nehmen Warnsignale wahr."
Die Medien haben vergangenes Jahr eine Art Wettbewerb um den Titel der ersten Frau auf allen Achttausendern ausgerufen. Haben Sie sich davon unter Druck gesetzt gefühlt?
"Ich habe mich lange dagegen gewehrt, in einen Wettkampf hineingedrängt zu werden. Es hat mich getroffen, als es hieß, sie will die Erste sein – weil es nie so war. Ich wollte einfach unterwegs sein, die Berge auf meine Art und Weise besteigen, ohne Hochträger und ohne Flaschensauerstoff.
Ich bin früher wettkampfmäßig Mountainbike und Ski gefahren und habe festgestellt, das ist überhaupt nicht meins. Bergsteigen ist für mich etwas ganz anderes, nichts was mit Konkurrenzdenken oder Wettkampf zu tun hat."
Nachdem Sie alle Achttausender erklommen haben: Gibt es einen, den Sie noch einmal besteigen möchten?
"Mit meinem Mann Ralf rede ich oft drüber: Zum Nanga Parbat möchten wir beide zurückkehren. Der Berg ist wunderschön! Aber auch das Basislager, mitten im Grünen, das ist einfach großartig."
Interview: Clara Grau / Nürnberger Zeitung
Alle Meldungen zu erfolgreichen K2-Expedition 2011 von Gerlinde Kaltenbrunner finden Sie hier:
- Gerlinde Kaltenbrunner hat den Gipfel des K2 erreicht!
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Meldungen zu Gerlindes und Ralfs tragischer K2-Expedition 2010:
- Gerlinde Kaltenbrunners Gipfelversuch am K2 gescheitert
- Gerlinde Kaltenbrunner und David Göttler in Lager II des K2
- Gerlinde Kaltenbrunner: Warten auf die Gipfelchance
- Gerlinde Kaltenbrunner: Akklimatisation abgeschlossen
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- Gerlinde Kaltenbrunner Richtung Pakistan aufgebrochen