Kilian, du wolltest schon 2015 mit Jordi Tosas auf den Everest. Daraus wurde nichts wegen des Erdbebens in Nepal. Ihr seid trotzdem hingeflogen und habt in den Dörfern des Langtang-Tals geholfen. Wie war das?
Kilian: Langtang war wegen seiner Nähe zum Epizentrum des Bebens besonders schwer betroffen. Es gab viele Lawinen und Felsstürze, die Dörfer waren komplett abgeschnitten. Was ich nicht erwartet hatte: In jedem Haus empfingen uns die Menschen mit offenen Armen und einem Lächeln. Wir kamen natürlich mit unserem eigenen Essen und mit Zelten. Aber die Menschen sammelten Material, um uns eine Art Hütte für die Nacht zu bauen.
Stell dir vor: Sie hatten alles verloren, auch Teile ihrer Familien. Aber sie bewirteten uns mit dem wenigen, das sie hatten. Das hat mich – aus Europa kommend – tief bewegt. Eigentlich schockiert. Bei uns ist es doch eher so: Nähert sich jemand deinem Haus, überlegst du: Was macht der hier? Man denkt, er hat schlechte Absichten. Die Menschen in Nepal suchten nichts Hintergründiges. Das war eine unglaubliche Lektion für mich und hat vieles relativiert. Über was für Dummheiten machen wir uns in Europa eigentlich Sorgen!
Bevor du wieder nach Nepal reist, findet zum dritten Mal der Tromsø Sky Run statt. Du selbst hast dieses Rennen mit deiner Freundin ins Leben gerufen. Warum so weit im Norden?
Kilian: Emilie hat in Tromsø studiert und wir lebten ein Jahr lang gemeinsam in Lyngen, ganz in der Nähe. Die Berge dort sind spektakulär, wild, technisch anspruchsvoll, und der Kontrast zwischen Meer und Hochgebirge ist sehr schön. Du kommst vom Meer und siehst Gletscher. Wir wollten Menschen dazu bewegen, diese wunderschönen Berge zu entdecken – mit einem eigenen Rennen über Gebirgskämme, Felsen, Schnee und Gletscher, so wie Emilie und ich es mögen. Das wäre in den Alpen nicht möglich gewesen, da wir vieles nicht gedurft hätten: zu gefährlich, kein offizieller Weg und so weiter. In Norwegen hingegen hatten wir alle Freiheiten.
Es geht also mehr um den Spaß als um den Wettkampf?
Kilian: Auch ein Grund, warum wir das in Norwegen aufziehen wollten. Das Renn-Ambiente in Zentraleuropa ist ganz anders als in Skandinavien. Hier wird alles zu wichtig genommen. In Norwegen ist es viel entspannter. Der Wettkampfgeist ist der gleiche, aber man nimmt es nicht so ernst. Nicht falsch verstehen: Niveau und Geschwindigkeit sind dort genauso hoch. Aber das Ambiente ist familiärer, die Gegend wilder und dort sind weniger Menschen unterwegs.
Es scheint, du bist nicht gern unter vielen Menschen?
Kilian: Sagen wir so: Ich bin kein sehr geselliger Mensch und eher ziemlich introvertiert. Ich habe wenige Freunde. Mir wird es nie passieren, mit jemandem etwas trinken zu gehen, einfach so. Das wäre verlorene Zeit. Da bin ich eigen. Ich habe sehr gute Freunde, aber wenige. Und die teilen die gleiche Leidenschaft für Berge.
Dann bist du auch lieber allein unterwegs als im Team?
Kilian: Ich kann gut einen Monat leben, ohne einen Menschen zu sehen. Und ich gehe sehr gern allein in die Berge. Aber wenn ich meinen Sport mit jemandem mache, vervielfachen sich die Emotionen. Erlebnisse miteinander teilen zu können – das verbindet. Das ist das Schöne am Mannschaftssport: Entscheidungen gemeinsam treffen, aufeinander aufpassen, zu wissen, dass andere mich beobachten.
Mein voller Name lautet … | Kilian Jornet Burgada. |
Geboren wurde ich … | am 27. Oktober 1987 in Sabadell, Katalonien, Spanien. |
Studiert habe ich … | Sport. |
Ich wohne … | irgendwo zwischen Chamonix, Norwegen und den Pyrenäen. |
Mit mir wohnt … | meine Freundin Emelie Forsberg. |
Facebook-Fans habe ich … | ca. 609 330. |
Mich unterstützen … | Salomon, Suunto, Mercedes-Benz, Compex, Petzl, Strava. |
Meine Website lautet … | kilianjornet.cat |
Letztes Jahr im November warst du in einem ziemlich speziellen Team unterwegs. Mit Ueli Steck hast du zum ersten Mal die Eiger-Nordwand durchstiegen. Ueli und du – das ist Speed am Berg pur, eine Art Dreamteam. Wie kam es dazu?
Kilian: Wir waren im Himalaja ein paar Tage gemeinsam unterwegs gewesen. Nach meiner Rückkehr bekam ich eine SMS von ihm: Die Bedingungen am Eiger seien gerade sehr gut, ob ich nicht kommen wolle? Claro, hombre! Jemand mit seinem Können und seiner Erfahrung! Wenn ich mit Ueli auf den Berg gehe, kann ich noch so viel lernen. Er ist außergewöhnlich. Sicher, wir sind beide schnell, aber in unterschiedlichem Terrain! Er klettert schwierigste Routen. Wir wollten einfach einen schönen Tag verbringen und Spaß haben.
Thema Rekorde: Den Speedrekord am Montblanc hast du mit Mathéo Jacquemoud begonnen, dann aber allein beendet. Warum?
Kilian: Mathéo war am Ende des Gletschers in eine – eher kleine – Gletscherspalte gefallen. Als er herauskam, tat ihm etwas sein Bein weh. Er konnte selbst absteigen, aber nur langsam. Deshalb lief ich allein weiter. Wäre er ernsthaft verletzt gewesen, hätte das natürlich alles geändert. Ich wäre einfach nächstes Jahr noch einmal gekommen.
Mathéo und du, auch so ein Dreamteam, im Skibergsteigen!
Kilian: Mathéo ist ein sehr guter Freund von mir. Wir haben in den letzten fünf oder sechs Jahren viele Skirennen gemeinsam bestritten. Das wichtigste war sicherlich die Pierra Menta in diesem Jahr – für mich das schönste Rennen, das es im Skibergsteigen gibt!
Das Interesse an extremen Rennen wie Pierra Menta, Patrouille des Glaciers oder Trofeo Mezzalama wächst jährlich, auch unter Hobbysportlern. Was macht ihre Faszination aus?
Kilian: Das Besondere ist ja, dass man als Team an den Start geht, obwohl Skibergsteigen eigentlich eine Einzelsportart ist. Du musst zwar aus eigener Kraft aufsteigen und abfahren, aber die gegenseitige moralische Unterstützung macht so ein Rennen zum Teamsport. Mal fühlst du dich besser als der andere, im nächsten Moment ist es andersherum. Helfen kann ich meinem Partner dann nur mental.
Wenn ich abbaue, mache ich extra noch einmal mehr Druck – für ihn. Und bin ich fitter, dann weiß ich, was ich tun muss, um ihn zu pushen – vor ihm gehen, oder doch besser hinter ihm, mit ihm reden oder lieber nicht. Dabei bildet sich eine ganz spezielle Atmosphäre im Team, die über das Rennen hinaus verbindet. Deswegen sagt man über die Patrouille des Glaciers: Drei Freunde gehen in Zermatt an den Start, als Brüder kommen sie in Verbier ins Ziel.
Beim Weltcup-Skitourenrennen in Valtellina wolltest du den Sieg mit deinem Konkurrenten Michele Boscacci teilen. Ihr seid Hand in Hand ins Ziel eingelaufen. Was war da passiert?
Kilian: Michele ist aus Valtellina. Er führte während des ganzen Rennens. Im letzten Anstieg überholte ich ihn und beim Abstieg kämpften wir gegeneinander. Gegen Ende wurde es gefährlich: Es lag wenig Schnee, war total eisig. Es war zu riskant, gegeneinander in den Skistiefeln zu rennen. Also beschlossen wir, gemeinsam einzulaufen.
Dennoch wurdest du zum Sieger erklärt. Das hat dich geärgert. So sehr, dass du einen Beschwerdebrief an die ISMF (International Ski Mountaineering Federation) geschrieben hast.
Kilian: Es gibt zwei Regelwerke. Und das eine besagt, dass der Chip am Bein wie beim Skilanglauf die Einlaufzeit bestimmt. Aber da wir die Ski am Rucksack trugen, war diese Messung nicht sinnvoll. Wir sind Hand in Hand eingelaufen und man hat ganz eindeutig gesehen, dass wir im Einlauf nicht gegeneinander gekämpft haben. Dass ich dann trotzdem die Siegpunkte im Weltcup bekommen habe, hat mir einfach nicht gefallen. Fair Play ist doch wichtiger als das Ergebnis.
Die wichtigsten Erfolge von Kilian Jornet:
6-facher Skyrunning-Weltmeister
4-facher Weltmeister im Ski-Bergsteigen
Mehrfacher Gewinner der wichtigsten Trail-Running-Rennen wie Zegama, Hardrock, Ultra-Trail du Montblanc, Gran Raid Réunion, Giir di Mont, Ultra Pirineu und Kima. Sowie mehrfacher Gewinner der wichtigsten Rennen im Ski-Bergsteigen wie Pierra Menta, Mezzalama oder Patrouille des Glaciers.
Was bedeutet für dich Fair Play am Berg?
Kilian: Fair Play bedeutet nicht unbedingt Chancengleichheit. Denn die gibt es nicht. Jeder hat unterschiedliche Voraussetzungen: psychisch, biografisch usw. Was zählt ist, dass wir innerhalb dieser Ungleichheit mit den gleichen Mitteln kämpfen. Dass der Mensch und eine gewisse Ethik wichtiger sind als das Ergebnis. Beispiel Doping: Doping heißt, das Ergebnis über alles zu stellen, über sich selbst, seine Gesundheit, über die Kraft und über die Wahrheit.
Hattest du in jungen Jahren ein Vorbild oder ein Idol?
Kilian: Bruno Brunod ist vielleicht so jemand. Für uns Bergläufer ein Held. Er hat mich mit allem inspiriert, was er gemacht hat. Er besitzt ein sagenhaftes Talent, ist unglaublich beweglich und voller Energie. Wenn man überlegt, was er alles gemacht hat und mit welcher Leichtigkeit...! (schüttelt ungläubig den Kopf) Er hielt den Rekord am Matterhorn über 18 Jahre lang!
Bis du 2013 kamst. Wie fand er deine Idee, seinen Rekord am Matterhorn zu brechen?
Kilian: Ganz normal. Die Tage vor meinem Rekordversuch haben wir viel miteinander gesprochen. Er gab mir Tipps. Bruno und sein Sohn Dennis standen dann selbst an der Route und haben mich angefeuert. Das macht mich schon stolz. Es ist schön zu sehen, dass man andere Menschen mit dem eigenen Tun inspiriert. Als Kind haben mich seine Rekorde davon träumen lassen, eines Tages das Gleiche zu schaffen. Heute inspiriere ich vielleicht andere.
Sie haben jetzt auch Lust bekommen mit dem Trailrunning zu beginnen? Dann lesen Sie in unserem Artikel "Know-how: Ausdauertraining und Herzfrequenz" wie Sie sich dafür richtig fit bekommen.
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