Am blanken Eis sind Gletscherspalten und Löcher gut sichtbar und kaum jemand wird Gefahr laufen, dort hineinzufallen. Interessant wird es, wenn der Gletscher mit Schnee bedeckt ist. Hier stellt sich die entscheidende Frage, ob die Schneedecke das Gewicht des Bergsteigers trägt oder darunter zusammenbricht. Leider lässt sich diese Festigkeit nicht genau ermitteln und so kommt es immer wieder einmal zum Einbruch oder zum Absturz in eine Spalte.
Spaltensturz - Was nun?
An sich zunächst mal gar nicht so tragisch, solange die Seilpartner den Sturz abfangen können. Bei richtiger Anseilmethode und Gehdisziplin (kein Schlappseil) sollte dies in der Regel gut funktionieren. Die erste Hürde ist geschafft: Der Sturz wurde gehalten, jemand hängt am Seil in einer Spalte, die anderen sitzen oben und alle schnaufen erst einmal in Ruhe durch.
Mannschaftszug
Die häufigste Art der Kameradenrettung ist der Mannschaftszug. Dieser kann bei großen Seilschaften oder vielen Helfern zum Einsatz kommen; aber bitte mit Vorsicht, es wurden in der Dynamik einer Rettung schon unverletzte Personen bei der Bergung schwer verletzt oder gar getötet.
Zumeist war fehlende Kommunikation zum Unfallopfer das Problem. Das Seil schneidet sich immer am Spaltenrand in den Schnee ein, das Opfer wird bei Unachtsamkeit auf den letzten Metern gegen den Schnee gezogen und es kommt zu einem Bruch - meistens ist es die Wirbelsäule.
Das richtige Vorgehen sieht so aus: Die Person, die dem Spaltenrand am nächsten ist, legt am gespannten Seil mit der Reepschnur (Länge 3 Meter, siehe ALPIN 6/08) einen Prusikknoten an. In etwa einer Armlänge entfernt kommt nun noch ein Sackstich auf die Reepschnur und das Ganze wird in den Anseilkarabiner eingehängt, dann erst hängt man seinen Anseilknoten aus.
Die Mannschaft hinter einem übernimmt während der ganzen Zeit das Halten des Gestürzten. Nun kann der erste bis zum Spaltenrand vorgehen und Kontakt zum Opfer aufnehmen. Anschließend zieht die gesamte Mannschaft, koordiniert von demjenigen der am Spaltenrand steht und Kontakt zum Opfer hat, langsam am Seil an. Somit ist eine einfache Bergung erfolgt.
Der Mannschaftszug wird ab einer Fünferseilschaft, unter günstigen Bedingungen vielleicht auch schon bei einer Viererseilschaft realistisch.
Die lose Rolle
Bei einer Dreierseilschaft wird eine komplexere Bergemethode notwendig. Im Falle des Falles gilt wieder - erst einmal den Sturz halten und Ruhe bewahren. Als nächster Schritt muss eine Lastübertragung erfolgen. Dabei ist der Mittelmann (Person B) angehalten einen verlässlichen Standplatz zu bauen.
Um ihm diese Arbeit zu erleichtern, übernimmt der letzte in der Seilschaft (Person C) nach Möglichkeit den Zug am Seil. Als Fixpunkt bietet sich eine T-Verankerung an. Dazu wird der Pickel quer zur Belastungsrichtung vergraben. Sofern man in erreichbarer Tiefe auf Eis trifft, ist die Eisschraube die beste Verankerungsart.
Sobald der Standplatz fertig ist, wird am gespannten Seil ein Prusikknoten mit der 1 Meter langen Reepschnur angelegt und die Last auf die Verankerung übertragen. Eine Person (B) bleibt als Auflast auf der Verankerung stehen. Der Retter (C) sichert sich mit einer 3 Meter langen Reepschnur wie folgt: Mit der Schnurmitte wird ein Prusik am lockeren Seil angelegt und in etwa einer Armlänge eine Sackstichschlaufe geknotet.
Diese Schlaufe wird in den Anseilkarabiner ein- und der Anseilknoten des Hauptseils ausgehängt. Nun kann der Retter vor bis an den Spaltenrand gehen und Kontakt zum Gestürzten aufnehmen. Sofern das Opfer handlungsfähig ist, wird eine große, durchgehende Seilschlaufe mit einem Karabiner in die Spalte abgelassen.
Dieser wird als Umlenkung in den Anseilpunkt am Gurt eingehängt und schon ist die lose Rolle fertig. Damit wir uns beim Hochziehen auch mal ausruhen können, wird noch eine Rücklaufsperre eingebaut. Dazu verwenden wir den zweiten Ast der Reepschnur und es wird auf das Seil, welches aus der Spalte nach oben kommt ein gefädelter Prusik angelegt.
Somit haben wir einen geschlossenen Kreis und die Bergung kann beginnen. Sobald der Gestürzte am Spaltenrand ist, zieht man ihn drüber und kann, den Prusik ständig weiter nach hinten schiebend, zurück zum sicheren Standplatz zur weiteren Versorgung gehen.
Selbsthilfe
Ist man als Gestürzter (A) unverletzt und die Mannschaft kann die Bergung nicht durchführen, ist Selbstrettung notwendig. Dieser Selbstausstieg funktioniert in jeder Seilschaftsgröße, es ist von Vorteil wenn oben zumindest eine Verankerung gebaut werden kann.
Ist das Seil am Spaltenrand eingeschnitten, verwendet man eine moderne Selbstrettungsmethode, die nach dem Lügenbaron "Münchhausentechnik" bezeichnet wird - es hat sich der Baron ja auch an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen. Meistens findet man aber mit der normalen Prusiktechnik das Auslangen.
Mit der ein und drei Meter langen Reepschnur beginnt man auf herkömmliche Art und Weise den Aufstieg am gespannten Seil. Dazu werden, ausgehend von der Mitte, zwei längere Reepschnüre mittels Prusik an das gespannte Seil gelegt. In das obere wird so knapp als möglich ein Sackstich geknüpft. Ein loses Ende wird durch die Anseilschlaufe des Gurtes gezogen und die beiden Enden mit einem zweiten Knoten abgeknüpft.
Der obere Prusik befindet sich somit knapp oberhalb des Kopfs. Mit der zweiten Schnur wird eine Trittschlinge geknüpft, die mit einem Ankerstich um den Schuh gelegt wird. Die Länge ist dabei möglichst kurz einzustellen, um viel Hubhöhe zu erreichen. Sobald man nun in der Schlinge aufsteht, entlastet man die kürzere Schlinge und kann diese mit einer Hand hochschieben.
Anschließend setzt man sich wieder in den Gurt und entlastet die Trittschlinge, um diese weiter hoch zu schieben. Mit diesem Wechselspiel kann man recht schnell an Höhe gewinnen.
Ist das Seil durch den Sturz tief in den Schnee eingeschnitten, lassen sich die Prusikknoten nicht mehr nach oben schieben. Nun ist es Zeit für den Lügenbaron. Zuerst bauen wir die Trittschlinge ab und nehmen das Schlappseil, welches unterhalb der Prusikknoten entstanden ist.
Mit diesem losen Seil fahren wir durch eine Rücklaufsperre (Plate, Garda- Schlinge, T-Bloc, Ropeman), die wir im Anseilpunkt des Hüftgurts befestigen. Von dieser Umlenkung und Bremse führen wir das Seil wieder hoch und lassen es durch einen Karabiner laufen, den wir in die obere Sackstichschlaufe der kurzen Reepschnur einhängen.
Voilà, fertig ist der Flaschenzug. Jetzt kann man sich am Seil hochziehen, selbiges läuft dabei um die Umlenkungen und durch die Bremse. Sobald man loslässt, sitzt man fix in der Rücklaufsperre. Die Enden der kürzeren Reepschnur können nun vom Hüftgurt gelöst werden, somit kann der Prusik mit der Umlenkung fürs Seil immer wieder weiter hinauf geschoben werden.
Zugleich wird durch ein Abstemmen mit den Beinen vom Spaltenrand das eingeschnittene Seil befreit und man kommt, langsam aber sicher, über den Spaltenrand.
Diese Seilmanöver
gehören zum Grundwissen beim Begehen von Gletschern. Wer häufig auf Gletschertouren unterwegs ist, wird mit Sicherheit mit dem Thema Spaltensturz konfrontiert werden. Bei richtigem Verhalten, guter Spurwahl und entsprechender Beherrschung der Rettungstechniken sind die meisten dieser Spaltenstürze harmlos und gehören "dazu".
Wir empfehlen, zumindest einmal im Jahr eine Bergeübung zu machen, bevor man auf Gletschern unterwegs ist, beziehungsweise in regelmäßigen Abständen einen Spaltenbergekurs zu besuchen.
Text: Paul Mair/mc2alpin
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