Steilheit ist relativ, vor allem wenn in jungen Jahren das Testosteron, der Ehrgeiz und der Wunsch nach Anerkennung um die Wette klettern. Sitzen zwei ambitionierte Skitourengänger in einem Winterraum in den Ötztalern: "Du, wie waren jetzt die Verhältnisse in der Wildspitze-Nordwand?" "Ganz ok."
"Und wie steil war’s, konntest du alles abfahren?" "Logisch! War aber brutal steil, mindestens 60 Grad, teilweise deutlich steiler." "Aber im Führer stehen doch nur 50 Grad?" Wie steil ist steil und wie steil war es wirklich? Wie "darf" man Steilheit darstellen, darf man übertreiben? Viele Menschen wünschen sich bei ihren eigenen Bildern einfach einen geraden Horizont.
Auch diesbezüglich korrekte Aufnahmen können Eindrücke wie Ausgesetztheit, Steilheit und Gefahr vermitteln. Nur wie muss ich vorgehen,um am Berg die Steilheit einer Tourtatsächlich darzustellen? Welche fotografischenMöglichkeiten habe ich?
- Wann immer es möglich ist seitliche Standpunkte nutzen.
- Bei spiegellosen Systemkameras ist die elektronische Wasserwaage eine geniale Hilfe.
- Fischaugenobjektive nur "maßvoll" einsetzen.
- Im Absturzgelände vor allem sich selbst, aber auch die Kamera sichern.
Eine Frage des Standpunkts@(zwischenHeadlineTag)>
Noch immer ist es "in", extreme Kletteraction von schräg oben zu fotografieren. Aufnahmen dieser Art schauen meist extrem steil und überhängend aus. Vielen Betrachtern fehlt hier jedoch oft die optische Orientierung. Was gibt es noch für Möglichkeiten, Steilheit auszudrücken?
Besonders in Quergängen kann man eindrucksvoll die Steilheit einer Wand und die Ausgesetztheit einer Route ausdrücken. Der Horizont sollte hierbei nicht wegkippen, das heißt die Wand nicht aufgesteilt werden. Klettere ich in Seilschaft einfach nur "von unten nach oben", nutze ich jedes Band und jeden Absatz, um die Route für ein paar Meter seitlich zu verlassen. Nur so kann ich in horizontaler Richtung meine Freunde und damit Kletteraction in ihrer Steilheit abbilden.
Wie gehe ich dabei vor bezüglich Horizont? Zuerst definiere ich den gewünschten Bildausschnitt. Dann kippe ich die Kamera leicht nach links und nach rechts, bis mein Horizont – zumindest optisch – in der Waage ist.
Fotografisch günstig ist es, bei alpinen Klettereien in zwei Seilschaften zu klettern, bzw. in einer Dreierseilschaft. Als Nachsteiger habe ich über mir einen Vorsteiger fürs Bild und hinter mir eine zweite Seilschaft von oben. Mit geringem Aufwand lässt sich so schon von normalen Standplätzen weg einiges machen. Kamera und auch Kameratasche sichere ich bei derartigen Aktionen immer mit einer dünnen, rund einen Meter langen Reepschnur und einem kleinen Karabiner.
Die eigene Sicherheit@(zwischenHeadlineTag)>
Keinesfalls unterschätzen darf man die eigenen Risiken, die mit so manchem luftigen Standpunkt verbunden sind. Die meisten Kletterer sind in diesem Metier schon mit der Tour und der notwendigen sie umgebenden Seiltechnik ausreichend beschäftigt. Mein wichtigster Grundsatz diesbezüglich: Erst die eigene Sicherung und Sicherheit überprüfen, dann das Foto.
Bei großen Fotoproduktionen klettere ich immer noch mit Hüft- und Brustgurt, um auch bei den wildesten Verrenkungen (kopfüber!) noch perfekt gesichert zu sein. Zu viel spontane und unbedachte Fotobegeisterung kann hier leider ganz ungut enden. Auf steiler Skitour oder gar in Wänden wie der Wildspitze-Nordwand stellt sich die Situation wieder ganz anders dar.
Nur Top-Skifahrer kommen hier noch auf die Idee, intensiv zu fotografieren. Ich selbst fühle mich ohne Ski, in zwei guten Stufen stehend, fotografisch wesentlich wohler als auf Ski. Wenn es die Verhältnisse erlauben, halte ich direkt oberhalb eines Freundes. Dann steige ich vorsichtig aus der Bindung und ramme die Ski direkt unterhalb in den Schnee. Sobald ich anschließend möglichst große Stufen getreten habe, kann ich relativ stabil und kontrolliert fotografieren.
Und das nicht nur nach oben und unten, sondern auch nach links und rechts. Mit Ski an den Füßen wäre dies unmöglich, hier geht immer nur eine Blickrichtung. Das alles funktioniert jedoch nur bei guten Verhältnissen und bis maximal 45 Grad.
Reiz und Lüge zugleich@(zwischenHeadlineTag)>
Die Versuchung ist schon verdammt groß, mit sogenannten Fischaugen-Objektiven jegliche Diskussion über Steilheit einer Tour ad absurdum zu führen. Kein anderes fotografisches Mittel erreicht diesen Effekt: Durch eine extrem tonnenförmige Verzeichnung werden alle senkrechten Linien, die nicht durch die Bildmitte laufen, extrem gekrümmt dargestellt.
Da steilt sich eine 40-Grad-Flanke zum Bildrand hin schnell mal auf 80 Grad auf. Zugegeben: Der Effekt ist fantastisch. Aber realistisch ist das nicht und oft kommt das auch rüber. Mein Tipp: Auch mit einem normalen Weitwinkelzoom können die Steilheit und das Umfeld einer Wand oder Flanke eindrucksvoll gezeigt werden.
Für APS-C Sensoren empfehle ich z. B. einen Brennweitenbereich von 10 – 22 Millimeter (KB-adäquat 15 – 35 mm). Auf meinen Foto-Workshops werde ich immer wieder von den Teilnehmern auf einen "schiefen" Horizont aufmerksam gemacht. Viele Menschen haben tatsächlich Probleme damit, Bilder in die „optische“ Waage zu bringen. Aber ist es denn nicht grundsätzlich egal, ob ein Horizont in der Waage ist oder nicht? Die kreative Freiheit ist heutzutage doch größer denn je!
Die elektronische Wasserwaage@(zwischenHeadlineTag)>
Wenn es um das korrekte Darstellen von Steilheit in der alpinen Fotografie geht, kann Genauigkeit wichtig und informativ sein. Durch die Einführung der spiegellosen Systemkameras steht uns jetzt endlich ein ganz einfaches Mittel für "gerade Horizonte" zur Verfügung.
Bei der Fujifilm XT1 und XT10 zum Beispiel, aber auch bei vielen Sony-Kameras wie der 7II, 7RII und 7SII, genügt ein Tastendruck auf die Display-Taste und inmitten des Suchers wird eine Wasserwaage eingeblendet. Die Anwendung ist denkbar einfach: rote Balken (oder blaue, je nach Hersteller) ist gleich schiefes Bild – grüne Balken ist gleich gerades Bild.
Ein Tipp zum Schluss@(zwischenHeadlineTag)>
Übertreibt es nicht mit der Fotoausrüstung! Wer mit sieben Kilo schwerer Kameratasche in eine Wand einsteigt, wird nicht nur an der Kletterei, sondern wahrscheinlich auch an der Fotografie scheitern. Beim Klettern in Fels und Eis zählt buchstäblich jedes Gramm!
Heutzutage genügt eine kleine und leichte spiegellose Systemkamera mit Weitwinkelzoom, um in diesem Bereich alle Wünsche zu erfüllen. Diese Kameras lassen sich auch mit einer Hand noch gut bedienen, sie sind schnell aus- und eingepackt und können in einer kleinen, gepolsterten Tasche direkt vor dem Körper getragen werden.
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