"Wie Du machst beim Zugspitzlauf mit? Du weißt aber schon, dass da vor ein paar Jahren Leute gestorben sind!" Diese Reaktion ernte ich mehrfach, als ich mein Vorhaben kund tue, beim Zugspitzlauf dabei sein zu wollen. Genaugenommen von jedem, dem ich es erzähle.
Ja, ich weiß um die tragischen Geschehnisse von 2008, als zwei Läufer wegen eines Wetterumsturzes an Unterkühlung und Erschöpfung starben. Dennoch freue ich mich, an diesem sonnigen Morgen in Ehrwald, gemeinsam mit 787 Läufern (Rekordteilnehmerzahl) aus 19 verschiedenen Nationen am Start zu stehen und auf Deutschlands höchsten Berg zu laufen.
Das umsichtige Organisations-Team um Peter Krinninger hat aufgrund der guten Wettervorhersage entschieden, die Strecke bis kurz unterhalb des Gipfels der Zugspitze auf 2962 Metern Höhe freizugeben. Trotz des strahlend blauen Himmels weisen die Veranstalter via Lautsprecher - wie bereits in der Ausschreibung - deutlich darauf hin, dass der Lauf in alpines Gelände führt, gute Profilsohlen ein Muss sind und die Läufer Regen- und Windschutzjacke sowie Handschuhe und Mütze mitnehmen sollen. Sollte sich das Wetter während des Laufes wider Erwarten verschlechtern, würde die Strecke verkürzt (bis zum Zugspitzblatt), so die Durchsage kurz vor dem Start.
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Schon bei der Anmeldung wurde den Läufern mitgeteilt, sie könnten auch gegen ihren Willen aus dem Rennen gezogen werden. Etwa 50 Helfer der Bergwacht sind an der Route positioniert, Notärzte und Rettungshubschrauber stehen bereit, vier Verpflegungsstellen finden sich auf der Strecke und eine im Ziel. Mehr kann man von einem Veranstalter eines Berglaufs nicht erwarten. Den Bedenkenträgern (siehe oben) sei gesagt: Allen Sicherheits-Bemühungen des Organisationsteams zum Trotz bleibt die Teilnahme am Zugspitzlauf ein gewisses Risiko. Und ja, es gibt auch im überversicherten Deutschland noch einen Rest an Eigenverantwortung. Zum Glück. Bergsteiger kennen das sowieso von allen ihren Unternehmungen.
Schmal, steil, steinig
Zur Eigenverantwortung der Teilnehmer gehört auch, nur ausreichend trainiert an den Start zu gehen. Wobei die Schwierigkeit bei der Trainingsgestaltung nicht in der Länge der Strecke (knapp 18 Kilometer) liegt, sondern in den gewaltigen 2.235 Höhenmetern, die es zu überwinden gilt. Das zu trainieren ist für Starter aus außer-alpinen Regionen eine ganz eigene und spannende Herausforderung.
Zurück auf den Martinsplatz in Ehrwald: Nach einer Schweigeminute für die Toten von 2008 geht es um 09:15 Uhr endlich los. Vom Start weg setzt sich wie erwartet der Kenianer Isaac Kosgei vom Rest des Feldes ab und hetzt zunächst über eine Teerstraße hinauf zur Ehrwalder Alm. Weiter hinten geht es langsamer zu. An den steileren Stellen der Straße ist für die meisten bereits der Zeitpunkt gekommen, an dem aus "laufen" eine Art "speed-hiking" wird. Bereits an der ersten Verpflegungs-Station an der Ehrwalder Alm sind einige Köpfe hochrot, Kohlenhydratgels werden aufgerissen, Bananenstücke verschlungen und mit einigen Bechern kühlen Wassers hinuntergespült. "Harte Nummer dieser Lauf", denken sich alle.
Vor allem ist der Lauf aber eines: Wunderschön. Nach der Ehrwalder Alm zieht ein unbefestigter Fahrweg durch Almwiesen hinauf zur Hochfeldern Alm. Milchkühe wundern sich ein wenig über die nicht enden wollende Karwane der buntbekleideten Läuferschar. Dann nach der Hochfeldernalm endlich: Schmale, steile, steinige Bergpfade. Trails durch die grandiose Naturlandschaft des Wetterstein-Gebirges. Kurz vor dem Gatterl, das die Grenze zwischen Deutschland und Österreich markiert, müssen die Läufer sogar Hand an den Fels legen. Mit Laufen hat das nichts mehr zu tun, das ist fast schon klettern. Auch im weiteren Verlauf bis zur Knorrhütte ist höchste Konzentration gefragt. Absturzgefahr ist fast nie gegeben, "Umknacks-Gefahr" dagegen ständig. Jeder Schritt verlangt Konzentration. Die Strecke ist so nicht nur physisch, sondern auch mental eine Herausforderung. Als es nach der Knorrhütte (2051m) Richtung Sonnalpin geht, sind sogar einige (harmlose) Alt-Schneefelder zu überqueren.
Vom Sonnalpin-Bahnhof am Zugspitzblatt (2576m), der letzten Verpflegungsstation, scheint der Gipfel bereits zum Greifen nah. Doch das härteste Teilstück wartet noch. Und wird dem Spitzenreiter zum Verhängnis: Souverän hatte Isaac Kosgei bis zu diesem Zeitpunkt geführt, drei Minuten Vorsprung gegenüber dem schweizer Bergläufer Woody Schoch herausgelaufen. Und dann das: Im extrem steilen Gelände, das Trittsicherheit und sogar ein wenig Schwindelfreiheit abverlangt, stolpert der Kenianer mehr vorwärts als dass er läuft. Und Altmeister Schoch (Jahrgang 1969) kommt Meter um Meter näher, überholt den Kenianer und überquert die Ziellinie schließlich lächelnd-locker als frischgebackener Gesamtsieger. Geübte Bergwanderer benötigen für die Strecke etwa sieben Stunden. Schoch finisht in 2:03:32 und verpasst damit um 30 Sekunden knapp den Streckenrekord, den der Brite Martin Ashley Cox 2005 aufgestellt hat. Mit fünf Minuten(!) Rückstand Vorsprung beendet Kosgei, der später sagt, er sei zum ersten Mal in seinem Leben auf Schnee gelaufen, als Zweiter das Rennen, völlig am Ende seiner Kräfte.
Dies hat der 31-Jährige mit den meisten der Nachkommenden gemein. Ellen Clemens aus Garmisch-Partenkirchen erreicht in 2:41 als erste Frau das Ziel, ich in 3:54 als schnellster (und einziger) ALPIN- Mitarbeiter. Bei recht kühlen acht Grad kommen noch einige Stunden lang Läuferinnen und Läufer ins Ziel, glücklich, manche den Tränen nah, stolz auf das Vollbrachte. Nur sieben waren unterwegs ausgestiegen. Für die Bergwacht und die Rettungshelfer war es ein erfreulich ruhiger Tag. Nur ein paar Muskelkrämpfe gab es zu behandeln. Nach fünf Stunden und 40 Minuten steht auch Martin Dirnfelder auf dem höchsten Berg Deutschlands. Obwohl als Letzter ins Ziel kommt, darf er sich dennoch als Sieger fühlen. Mit Recht. Herr Dirnfelder ist Jahrgang 1944.
Text: Holger Rupprecht Fotos: Holger und Steffi Rupprecht, Tiroler Zugspitz Arena
Wir bedanken uns bei Peter Krinninger und seinem Organisations-Team für eine unvergessliches Lauf-Erlebnis, sowie der Tiroler Zugspitz Arena für die hervorragende Betreuung vor Ort.