ALPIN: Was ist 1991 am Ogre passiert?
Christian Stangl: Wir wollten die Zweitbegehung machen, auf rund 6000 Meter aber kam ich in eine Eislawine, in der ich mir den rechten Oberschenkel brach.
ALPIN: Wie sah der Abstieg aus?
Christian Stangl: Im steilen Gelände hat mich mein Partner abgeseilt, auf dem Plateau aber konnte er mich nicht durch den Schnee ziehen. Er ist allein weiter, um Hilfe zu holen. Ich habe versucht, rückwärts zu kriechen, das schmerzte weniger, doch weit bin ich nicht gekommen. Ich bin tagelang im Schnee rumgekugelt. Und ich dachte: Das war's.
ALPIN: Wie hast du die Schmerzen ausgehalten?
Christian Stangl: Ich kam in einen fieberhaften Zustand. Es ist eine natürliche Schmerzbekämpfung der Natur, dass du nicht mehr genau weißt, was passiert und vieles ins Lustige gezogen wird. Ständig ging mir dieses Beatles-Lied "Octopus's Garden" durch den Kopf. Und ich habe laut geschrieen und geflucht.
ALPIN: Wie lange hat es bis zum Basislager gedauert?
Christian Stangl: Sechs Tage. Zum Glück hat mein Partner italienische Trekker getroffen, und alle zusammen haben mich rausgetragen. Schließlich bekam ich noch einen Lungeninfarkt. Ein Knochensplitter war in die Blutbahn eingedrungen und hatte einen Lungenflügel verstopft. Zum Glück war ich da schon im Klinikum in Graz, sonst wäre ich gestorben.
ALPIN: Hatte dieses Erlebnis auch etwas Positives?
Christian Stangl: Ja, diese Erfahrung war in gewisser Weise gut. Heute weiß ich: Wenn ich einen Unfall habe - es wird nicht wehtun. Ich hatte ja anfangs gar nicht gemerkt, dass das Bein gebrochen war. Es war irrsinnig laut in der Lawine, und ich habe nur gedacht: Mist, wir sind mittendrin. Mein Freund hat mich dann ausgegraben, die Beine steckten fest, und erst da bemerkte ich, dass mein rechtes Bein so komisch abgewinkelt war, und plötzlich hat es höllisch wehgetan. Aber in der Lawine selbst habe ich nichts gespürt.
ALPIN: Wolltest du nach dem Ogre mit dem Bergsteigen aufhören?
Christian Stangl: Anfangs ja, aber nach einem halben Jahr bin ich mit Krücken die ersten Berge rauf - und es hat wieder Spaß gemacht.
ALPIN: Bist du noch einmal in eine brenzlige Situation gekommen?
Christian Stangl: 1998 habe ich solo die Südwand des Shisha Pangma durchstiegen. Damals wollte ich möglichst schwere Routen im Alpinstil schaffen. Habe ich auch, aber es war knapp. Für die Wand brauchte ich zweieinhalb Tage. Als ich auf dem Gipfel stand, hatte ich kein Gas mehr. Ich konnte also nichts mehr trinken. Ich habe noch einmal dreieinhalb Tage für den Abstieg gebraucht, am Ende war ich ziemlich schlecht beieinander. Ich bin kaum noch vom Fleck gekommen, ich konnte kaum noch gehen, habe mir immer wieder gesagt: runter! Runter!
ALPIN: War es verlockend, anzuhalten und dem Tod entgegenzudämmern?
Christian Stangl: Ja, hinsetzen und einfach nur ein bisschen die Landschaft genießen. Aber dann kletterst du halt doch weiter. Am Fuß der Wand konnte ich nur noch auf allen Vieren kriechen. Schließlich habe ich einen Gletscherbach entdeckt, dort habe ich mich sattgesoffen.
Weitere Online-Extras der Interviewserie extrem ehrlich: