ALPIN-Autor Andreas Haslauer traf Reinhold Messner auf Schloss Juval und befragte den Hausherren über den Alpinismus damals und heute, seinen Umgang mit Ängsten sowie die Verbindung zu seinem Bruder Günther. Das komplette Interview findet ihr in unserer Juni-Ausgabe. Auf alpin.de präsentieren wir euch das Gespräch als kleine Serie. Hier klicken, um direkt zum ersten Teil zu kommen; hier findet ihr den zweiten Teil der Serie.
Haben Sie da oben [in der Todeszone, Anm. d. Red.] nicht ständig Angst?
Bürgerliche Ängste sind mir fremd. Viele stellen sich vor, dass wir auf einen Manaslu, K2 oder Cho Oyu steigen und dabei ständig Angst haben, runterzufallen. Humbug! Wenn ich die ganze Zeit wie das Kaninchen vor der Schlange Angst hätte, dann hätte ich ja gar keine Zeit zum Bergsteigen. Ich habe dort oben keine Zeit, Angst zu haben. Außer im Vorfeld. Angst vor der Angst und ein ständiges Unbehagen: Natur ist unberechenbar.
Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie in der Todeszone nie Angst hatten.
Für so einen Grenzgang auf 8000 Meter und mehr sind monatelange Vorbereitungen nötig. Erst wenn ich mir sicher bin, gehe ich Richtung Gipfel. Bei einem Drittel meiner Besteigungen habe ich mich dagegen entschieden. Ein Grund, warum ich hier mit Ihnen sitze und reden kann.
Wann haben sie zuletzt an ihren verstorbenen Bruder Günther gedacht?
Gestern Abend. Vor einiger Zeit erhielt ich Rechte von den Original-Filmaufnahmen unserer Nanga-Parbat-Expedition.Weil ich die Videos nicht auf dem Laptop hochladen konnte, bat ich meine Tochter Anna, mir nach dem Abendessen zu helfen. Sie war müde, wollte schlafen gehen. Als sie ihren Onkel Günther dann "live" sah, war sie wieder hellwach. Sie hat dieTragödie mehr berührt als mich.
Hat Sie das emotional nicht ergriffen?
Für mich ist Günther nie wirklich gestorben. Ich bin der festen Meinung, dass ein Mensch erst tot ist, wenn niemand mehr an ihn denkt. Ich denke immerzu an ihn. Jeden Tag seit dem 29.Juni 1970. Ich träume auch von ihm. Wenn ich hier an "unseren" Wänden vorbeifahre, die wir gemeinsam durchstiegen haben, ist er mir allgegenwärtig. In diesen Momenten frage ich mich: "Wie sähe unser Leben heute aus, wenn wir das Unglück beide überlebt hätten?"
Vermissen Sie Ihren Bruder?
Ich habe mich ja nie von ihm verabschiedet. Ich lebe nach wie vor mit ihm an meiner Seite. Mehr noch: Seit seinem Tod habe ich das Gefühl, dass er mir von seiner Kraft und Energie übertragen hat. Deshalb fühle ich mich manchmal so stark. Unsere Seilschaft wird für immer bestehen bleiben.
Waren Sie immer zu zweit unterwegs?
Günther war nicht nur mein Bruder, Freund, er war der beste Seilpartner, den ich mir vorstellen konnte. Wir teilten am Berg alles: Freude, Glück, Angst. Und wir waren richtig gut drauf. Wir haben uns in den Dolomiten die wildesten Wände vorgenommen, in denen wir noch nicht waren. Wir wollten alle kennen! Ganz egal, wie schwer die Route, wie hoch die Wand, wie anspruchsvoll die Tour war.
Sie fühlten sich unbesiegbar?
Wir fühlten uns wie Jung-Siegfried aus der Nibelungensage. Wir waren der festen Überzeugung, dass wir unverwundbar wären, uns nie etwas passieren könnte. Keiner von uns hätte je im Traumgedacht, dass einer umkommen könnte.
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Kommentar schreibenDas mit Jungsiegfried aus der Nibelungensage hatte ich in meiner Sturm-Drangzeit nach einigen Westalpenfahrten, dieses Gefühl war so "sie kannten weder Tod noch Teufel"