Zuverlässig blitzt die Sextner Sonnenuhr zu jeder (wolkenlosen) Stunde auf: Der berühmte Halbkreis von Neuner, Zehner, Elfer, Zwölfer und Einser wurde zum großen Jubiläumsjahr eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die junge Wirtin der Büllelejochhütte, Steffie Rogger, hatte die Idee, auf die Spitzen dieser Gipfel Spiegel zu montieren, die die Zeit ins Tal senden. Genial einfach und einfach genial! Die etwa türgroßen Reflektoren gemahnen an die Zeit, als die Berge den Sextner Bauern die Stunde wiesen – und sie mahnen zugleich an das Verrinnen der Zeit.
Im Jahre 1869, vor 150 Jahren gehörten die Gipfel den Hirten und den Jägern – und den Tieren. Aber allmählich wurden sie zur Spielwiese von wohlhabenden Sportlern aus den großen Städten. Einer von ihnen war Paul Grohmann, der mit 24 Jahren zu den Begründern des Österreichischen Alpenvereins gehörte. Im Jahre 1862 war das. Grohmann stammte aus reichem Elternhaus, reiste schon als Teenager durch Europa und sammelte Erstbesteigungen: Mit 21 stand er als erster auf der Hochalmspitze, dann hakte er die Berge um Cortina ab, bestieg als erster unter anderem die Tofane, die Marmolada, den Cristallo, aber auch Olperer und Hochfeiler.
Als Grohmann 1867 nach Sexten kam, war er auf der Suche nach unbestiegenen Gipfeln. Da kam ihm die Dreischusterspitze als höchste der hiesigen Dolomiten grade recht – von der Hochalmspitze erscheint sie sehr lockend als markante Spitze. Ihn reizte, Zitat: "die Schönheit des Berges, seine Jungfräulichkeit, die Höhe und die Unmöglichkeit". Denn die Sextener Jäger hielten ihn für unerreichbar.
Für Grohmann war das kein Hindernis. Er vertraute auf seine Erfahrung und suchte nach dem kundigsten Führer. Das war das "Gamsmandl", der alte Steinmetz aus dem Unterdorf. Der Spitzname war eigentlich ein Ehrentitel für jemanden, der schon über 1000 Gämsen erlegt hatte. 1000 Gämsen - das bedeutet viele tausend Pirschgänge. Intensiver kann man die Berge nicht kennenlernen!
Grohmann verabredete sich mit dem Steinmetz für den nächsten September – und er wird ihm nahegelegt haben, doch bevorzugt an der Dreischusterspitze auf die Jagd zu gehen. Um sie besonders intensiv kennenzulernen … Noch hatte Grohmann Geld genug. Warum "noch"? Klären wir gleich!
Das Projekt im September 1868 scheiterte – Schnee und Wind trieb die Bergsteiger aus der Wand, und so kehrte Grohmann im Juli 1869 nach Sexten zurück, um dem "Schuster" zu Leibe zu rücken, zusammen mit seinem erprobten Bergfreund Peter Salcher. Der Sextner Steinmetz Franz Innerkofler, Lehrling des "Gamsmandl" und ebenfalls bestens vertraut mit der Sextner Bergwelt, begleitete die beiden.
So brachen sie am 18. Juli 1869 um 3.45 Uhr auf, wanderten durch die Fischleintalwiesen zum Staddila Winkl und folgten dann rechts der breiten Rinne der Weißlahn. Bereits nach 20 Minuten erreichten sie die Felsen und stiegen über Geröll und Schrofen zur Steinalmscharte hinauf.
Als sie die Klamm erreichten, zogen sie die Nagelschuhe aus und kletterten in Socken weiter, während Grohmann sogenannte Scarpetti trug. Es waren eine Art Hausschuhe, deren Stoffsohlen aus Zwirn genäht waren. Grohmann meinte dazu: "Den Schuster in Pantoffeln zu ersteigen, ist das nicht eine köstliche, unbedingt zu probierende Methode?"
Am Ende der Klamm angekommen, fiel ihr Blick steil hinab ins Innerfeldtal. Rechts und links stand je ein Zacken, aber welcher war höher? Sie entschieden sich für den linksstehenden Turm. Mutig nahmen sie die mit Rissen durchsetzten Platten, folgten noch wenige Schritte dem Grat und der Schuster war bezwungen. Es war 8.45 Uhr. Ein mächtiges Steinmandl und eine Fahne sollten den Sieg bekunden.
Grohmann war tief beeindruckt vom herrlichen Panorama. Die Drei Zinnen erregten sein Interesse am meisten, sodass in ihm der Entschluss reifte, auch diese bald zu besiegen. Als er dieses Vorhaben seinen Begleitern mitteilte, erntete er nur ein vergnügtes Lächeln.
Noch heute ist die Dreischusterspitze ein wahrhaft imposanter Klotz hoch über dem Fischleintal, deren Spitze aus dem Sextner Moos aus als Lockruf zu sehen ist. Der Alpenvereinsführer beschreibt sie mit starken Worten:
"Von Ferne ein gewaltiger Klotz, aus der Nähe ein Labyrinth von Schluchten, Kaminen und Grattürmen. Erfordert auch auf den leichtesten Anstiegen ein beträchtliches Maß an Ausdauer, alpiner Erfahrung und Orientierungsvermögen."
Und die Route der Erstbesteiger wird so charakterisiert:
"Landschaftliche großartige, sehr lange, sehr alpine klassische Führe, in der man sich besonders bei Nebel ohne nennenswerte Anstrengungen herzhaft verlaufen kann. Teilweise durchaus nette Kletterei."
Soweit der Alpenvereinsführer zur, der Punta di Tre Scarperi, dem höchsten Berg der Sextener Dolomiten.
3145 Meter ist die Dreischusterspitze hoch, das heißt der höchste der drei Gipfel, die wohl für das "Drei" im Namen verantwortlich sind. Aber warum "Schuster"? Offenbar weiß keiner so recht, woher der Name kommt:
Weil der Sonnenuhr nach dem Einser ein Dreier fehlt?
Weil es vorne im Tal einen Gesellen gibt, zu Füßen des Schustermeisters? Aber warum dann kein Steinmetz oder Hutmacher – das waren die in Sexten häufigsten Zünfte?
Weil eine Sage von drei Schustern erzählt, die hier oben gejagt haben sollen? Und die dann versteinert wurden? Wildern ist vielleicht nicht ganz gottgefällig, aber doch keine Sünde, die der liebe Gott sofort bestraft?
Das Sextner Dorfarchiv berichtet, dass es um 1600 eine Schuster-Wiese gab – vielleicht ist es die, die heute als "Staddila Winkl" bekannt ist und auf der die Erstbesteigung gefeiert wurde: mit einem glamorösen Picknick, verwöhnt von Sternekoch Chris Oberhammer. Dazu enthielt der handgeflochtene Picknickkorb eine warme Decke, eine Isomatte, schönes Besteck und langstielige Gläser für den "Solaris" der Kellerei von Baron Longo-Liebenstein zu Wellenburg & Langenstein. Eine feine Sache!
Zur Unterhaltung trugen ALPIN-Chefredakteur Bene Benedikt und sein italienischer Kollege Bepi Casagrande bei, die mit Anekdoten und Geschichten rund um die Dreischusterspitze geistige Häppchen zum kulinarischen Genuss servierten.
Der Clou aber waren die 50 Lichter, die nach und nach auf der Dreischusterspitze erstrahlten und die Route der Erstbesteiger markierten. Es handelt sich dabei um 50 massive LED-Laternen, die die Bergrettung Sexten aufgestellt hatte.
In den nächsten Tagen werden sie abgebaut und können als wertvolles Erinnerungsstück im Tourismusverein Sexten erworben werden. So wie auch die Spiegel der Sonnenuhr Anfang August wieder ins Tal gebracht werden – Nachhaltigkeit wird in Sexten groß geschrieben, liegt das Dorf doch zu Füßen des Naturparks Drei Zinnen.
Traudl Watschinger, die Präsidentin des Tourismusvereins Sexten, kommentiert den spezifisch Sextner Feier-Modus so: "Unser Anliegen ist es, wo immer möglich auf technische Ausstattung, unnötigen Lärm und Beleuchtung zu verzichten. Wir wollten diesen historischen Tag vor 150 Jahren, der im Gipfelsieg des Trios Grohmann, Innerkofler und Salcher um 8.45 Uhr seinen Höhepunkt hatte, in respektvollem Umgang mit der Natur genießen. Das ist uns mehr als gelungen!"
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