Günter Schmudlach: Kein Skitourenguru?@(zwischenHeadlineTag)>
Günter Schmudlach geht gern Skitouren. Und das schon ziemlich lange. Inspiriert von einem Sabbatical macht sich der Schweizer schließlich an die Arbeit und entwickelt den Skitourenguru – eine Website zur Planung und Risikominimierung von Skitouren.
Günter Schmudlach, Jahrgang 1964, arbeitete in der Software-Entwicklung. 2014 ging seine Plattform skitourenguru.com online, die Hilfestellung gibt bei der Auswahl und Planung von Skitouren. Anfangs "nur" in der Schweiz, mittlerweile auch in den Ostalpen, Frankreich und demnächst sogar in Italien.
Günter Schmudlach im Interview mit Stephanie Geiger@(zwischenHeadlineTag)>
Herr Schmudlach, wie viele Skitouren machen Sie pro Jahr?
Jeden Winter sind das so zwischen 25 und 30 Touren – seit gut 40 Jahren.
Qualifiziert einen das zum Skitourenguru?
Nein. Ein Skitourenguru bin ich nicht. Ich brauchte zu Projektbeginn dringend einen Namen für meine Homepage. Der sollte mit einem ironischen Unterton gelesen werden und einen kritischen Reflex auslösen. Traut man einem Guru?
Aber mit Ihrer Ausbildung können Sie das Lawinenrisiko besser bewerten als andere?
Ich habe Elektrotechnik studiert und als Software-Entwickler gearbeitet. 1998 führte mich ein Sabbatical nach Ecuador. Daraus ging dann auch ein Buch mit Bergtouren hervor. Und 2009/10 arbeitete ich für die Peace Brigades International (PBI) in Kolumbien. PBI ist eine nichtstaatliche internationale Friedens- und Menschenrechtsorganisation, die durch Präsenz internationaler, unbewaffneter Teams bedrohte Menschenrechtsverteidiger in Konfliktgebieten begleitet. Diese Teams sollen das Risiko vermindern.
PBI hat Tools entwickelt, um mit Risiken besser umgehen zu können. In Kolumbien hat man es mit einem Konglomerat von Akteuren zu tun, deren Verhalten man nur schwer einschätzen kann. Das ist fast wie bei einer Schneedecke.
Und Sie dachten, was bei Menschen funktioniert, müsste es auch bei Lawinen?
Es gibt mindestens drei Gemeinsamkeiten: kleine Ereignis-Wahrscheinlichkeiten, potenziell sehr gravierende Konsequenzen und sehr große Unsicherheiten. Werner Munter hat in den 80er-Jahren einen sehr fortschrittlichen Umgang für diese Ausgangslage gefunden. Darauf baut auch die DAV SnowCard auf. Reduktionsmethoden leiten aus der Information zum Gelände und dem Lawinenlagebericht eine Risikoeinschätzung ab.
Und Skitourenguru lässt diese Risikoeinschätzung von einem Computer machen.
Richtig. An Weihnachten 2013 war das Wetter schlecht und ich gerade in einem Sabbatical, da habe ich mich an die Arbeit gemacht. Das ging aber nicht ganz reibungslos. Zu Beginn habe ich eine Mail an das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos geschrieben und um die Schnittstelle zum maschinenlesbaren Lagebericht gebeten.
Deren Antwort lautete: Eine Schnittstelle gebe es nicht und wenn, würde ich sie nicht bekommen. Also habe ich kurzerhand den Lawinenlagebericht aus der Website ausgelesen. Der Skitourenguru ging im Februar 2014 online. Die Reaktionen schwankten zwischen Lob und Verriss. Ich habe das Tool mit ganz viel Unterstützung von Freiwilligen kontinuierlich weiterentwickelt. In einem gewissen Sinne bin ich auch neun Jahre später immer noch im Sabbatical.
Was leistet die Plattform denn?
Skitourenguru weist Tausenden Skitouren in den Alpen täglich aktuell (ab 18:30 Uhr) ein Lawinenrisiko zu: "Grün" für niedriges Risiko, "orange" für erhöhtes Risiko oder "rot" für hohes Risiko. Dafür rechnet ein Höchstleistungsrechner mit Hilfe eines digitalen Geländemodells einmalig eine Karte zum Lawinengelände. Bei jeder Ausgabe neuer Lawinenlageberichte werden anschließend vollautomatisch die Risiko-Indikatoren für die dargestellten Routen berechnet.
Dafür kombiniert Skitourenguru mit Hilfe der sogenannten Quantitativen Reduktionsmethode, kurz QRM, den Lawinenlagebericht mit der Information zum Lawinengelände. Zwischenzeitlich habe ich gemeinsam mit einem Statistiker, einem Lawinenwarner und einem Professor der Uni Trondheim einen Nachfolger für die QRM entwickelt. Ein entsprechendes Paper ist in Bearbeitung. Wenn es publiziert ist, werde ich Skitourenguru upgraden. Davon werden die Benutzer allerdings nicht viel merken.
Hier haben wir die fünf großen Lawinenprobleme kompakt zusammengefasst:
Was bedeutet das für die Benutzer:innen?
Kurz gesagt: Der Skitourenguru unterstützt sie bei der Auswahl und Planung einer Skitour mit tiefem Lawinenrisiko. Das heißt aber nicht, dass es kein Risiko gibt. Der Fokus liegt auf der Planung.
Die Eigenverantwortung bleibt aber. Die kann man nicht durch einen Algorithmus ersetzen. Aus Unfallberichten weiß man, dass oft eine Sequenz von Fehlern zum Lawinenunfall führt. Man fährt ab, wo es nicht geplant war. Die Gruppe zieht sich einen Kilometer auseinander. Sie bricht zu spät auf. Und, und, und. Deshalb ist eine fehlertolerante Skitourenplanung so wichtig.
Ich bin der Überzeugung, dass die Schneedecke für 90 Prozent der Tourengeher eine Blackbox ist. Für 8 Prozent vielleicht eine Greybox. Und nur der kleine Rest versteht die Prozesse wirklich, die in der Schneedecke stattfinden. Umso wichtiger sind regelbasierte Methoden, die auf eine Risikoreduktion abzielen.
Dabei sind doch Schneeprofile, mit denen man den Schneedeckenaufbau unter die Lupe nimmt, gerade groß in Mode.
Schneeprofile oder Stabilitätstests finde ich persönlich durchaus interessant. Wer oft gräbt, wird erstaunt sein, wie vielfältig eine Schneedecke sein kann. Wie man die gewonnene Einsicht dann konkret nutzt, ist eine andere Frage. Da bin ich skeptisch. Einerseits ist immer noch unklar, wie die Stabilität aus einem Profil abgeleitet werden soll. Anderseits stellt sich die Frage, ob ich am richtigen Ort gegraben habe. Aber egal: Schaufeln ist lustig und die Schneedecke ist spannend. Reinschauen schadet nicht, solange man keine Entscheide daran knüpft.
Besteht die Gefahr, dass der Skitourenguru dazu verleitet, dem Algorithmus mehr zu vertrauen als eigener Erfahrung?
Das möchte ich tatsächlich nicht ausschließen. Der Skitourenguru kann ein Verführungspotenzial haben, weil unter Umständen Leute damit auf Tour gehen, die vorher mit dem Alpenverein oder einem Bergführer unterwegs waren und jetzt meinen, sie könnten es auch alleine. Gleichzeitig gibt es aber auch deutliche Hinweise, dass erfahrene Wintersportler höhere Risiken eingehen als Einsteiger. Wir sollten uns deshalb eher um erfahrene, ältere Männer Sorgen machen.
In den vergangenen neun Jahren haben Sie sich sehr intensiv mit der Lawinenkunde befasst. Was haben Sie gelernt?
Ich habe viel über Schnee, Lawinen, Unfälle, Gelände, Statistik und maschinelles Lernen gelernt. Ich musste aber auch feststellen, dass die Lawinenkunde stark von Ängsten geprägt ist. Regelmäßig konfrontieren mich Bergführer mit der Angst, dass eine regelbasierte Lawinenkunde früher oder später vor Gerichten Anwendung finden könnte.
Dann zitiere ich gerne Werner Munter: "Fürchtet die Lawinen und nicht die Gerichte." Im Grunde genommen wird Werner Munter auf ganzer Linie bestätigt. Hangneigung und Gefahrenstufe sind immer noch die zwei wichtigsten Faktoren für das Lawinenrisiko. Die Höhenstufe ist wichtiger als bisher angenommen, die kritische Exposition hingegen weniger wichtig als bisher vermutet.
Was heißt das konkret?
Wenn ich aus dem Lawinenlagebericht weiß, dass es oberhalb von 2000 Metern kritisch wird, dann kehre ich eben bei 1800 Metern um oder ich bin wachsamer, je näher ich an diese Grenze komme.
Haben Sie selbst im Laufe der Jahre ihr Verhalten im Gelände geändert?
Ich hoffe, dass ich demütiger geworden bin. Ich suche eher das Naturerlebnis statt die ultimative Pulverschneeabfahrt. Aber das hängt vielleicht auch mit dem Alter zusammen.
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