Wie geht es Ihrer Frau?
Gerlinde, Maxut, Vassily und Darek befinden sich im Abstieg. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut, aber die Anstrengung steckt allen gewaltig in den Knochen. Ganze neun Tage hat alleine der Aufstieg gedauert. Die Bedingungen waren dieses Mal extrem. Zudem wurde das Essen knapp. Vor dem Gipfelgang gab es nur noch ein paar Gläschen Babybrei. Über 7.500 Metern Höhe baut der Körper ohnehin unaufhaltsam ab. Alle vier sehnen sich jetzt vor allem nach Schlaf.
Sie selbst sind am 18. August umgekehrt. Weil es Ihnen zu gefährlich war?
Die Einschätzung einer bestehenden Lawinengefahr ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Neuschneemengen sind nur ein Teil der Wahrheit. Windverfrachtung, Neigung und Form des Geländes, Untergrund und Schneemengen der Tage zuvor und noch einige andere sind weitere Faktoren, die bei der Beurteilung eine bedeutende Rolle spielen. Wo es kein Lawinenbulletin gibt ist man einzig alleine auf seine eigene Einschätzung und sein über Jahrzehnte gewachsenes Bauchgefühl angewiesen. Und beides fällt bei jedem anders aus, je nach Erfahrung. Für mich hat es nicht mehr gepasst und mein Bauch sagte "Nein" - und damit war für mich die Entscheidung klar: Absteigen.
Und Ihre Frau stieg weiter auf. Was fühlt der Ehemann Ralf Dujmovits?
Jeder trifft am Berg seine eigene Entscheidung. Wir beraten und besprechen uns selbstverständlich, stehen einander aber nicht im Weg. Das ist sicher für viele Menschen schwer nachvollziehbar. Natürlich ist man dann extrem angespannt, in Gedanken immer oben, aber dieser Situation muss man sich stellen. Als Bergsteiger-Ehepaar ist man da in einer ganz besonderen Situation.
Wie gehen Sie mit der Angst um Ihre Frau und deren Teamkollegen um? Stoßgebete?
Ich bin kein Typ, der das Beten anfängt, wenn es kritisch wird. Nein, ich neige eher zu Übersprungshandlungen, einem hektischen Hin und Her, tigere ziemlich sinnlos im Basislager auf und ab, komme natürlich überhaupt nicht zur Ruhe und muss mich irgendwie beschäftigen. Und so bearbeite ich dann Bilder, sortiere Material oder fange sonst irgendetwas Unnützes an. Außerdem umkreise ich alle paar Minuten das Stativ mit dem Fernrohr drauf, in der Hoffnung ein paar Punkte auf dem 10 Kilometer entfernten Berg ausmachen zu können. Ich gebe aber zu: dieses Mal war die Anspannung extrem. Natürlich macht man sich große Sorgen, vor allem bei diesen echt brutalen Bedingungen.
Und dann kam am 23.8. um 18.18 Uhr der Anruf Ihrer Frau per Funk. Was waren ihre ersten Worte?
Ich hörte nur ein Schluchzen, kenne meine Frau aber und wusste sofort, dass es Freudentränen sind. Und da war mir klar: jetzt ist sie oben! Gerlinde war ja als erste am Gipfel. Gesammelt hat sie sich erst, als auch ihre zwei kasachischen Kollegen Maxut und Vassiliy sowie Darek (Polen) bei ihr ankamen. Wir funkten noch einmal kurz. Sie schilderte mir eindrücklich einen Moment tiefsten Glücks. Windstill am Gipfel. Total friedlich und ruhig. Das ist echt abgefahren, denn so etwas gibt es am K2 eigentlich nie. Dazu entsprechende Fernsicht, ein Sonnenuntergang vom Allerfeinsten und Abendrot. Gerlinde war extrem ergriffen und überaus glücklich, diesen ganz besonderen Moment mit ihren Teamkollegen erleben und teilen zu dürfen.
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Wann werden Gerlinde und Kollegen im Basislager erwartet?
Also Donnerstagmorgen mache ich mich auf den Weg und marschiere den vieren mit Getränken und Snacks entgegen. Ich freue mich wahnsinnig auf diesen Augenblick. Im Chinese Basecamp, das wir bereits abgebaut haben, gibt es dann noch eine gemeinsame Mahlzeit, aber dann müssen wir auch schon weiter. Denn die Kameltreiber warten bereits auf uns.
Keine Zeit sich zu erholen oder zu feiern?
Die Zeit drängt, unsere Visa laufen aus. Wir haben aber beschlossen auf unserem Rückweg einen extra Ruhetag einzulegen. Das muss sein. Gefeiert wird ein paar Tage später. In Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, von wo aus wir dann nach Hause fliegen, werden Gerlindes Kollegen von einer offiziellen kasachischen Delegation mit einem Fest erwartet. Da wird sicher die Post abgehen. Kasachen können nämlich richtig feiern . . .
Interview: Johanna Stöckl / TZ München
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Meldungen zu Gerlindes und Ralfs tragischer K2-Expedition 2010:
- Gerlinde Kaltenbrunners Gipfelversuch am K2 gescheitert
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