alpin.de: Dein Vortrag hier in Erlangen dreht sich wie Dein jüngst erschienener Bildband um Deine Expeditionen in den vergangenen 15 Jahren. Auf Deiner letzten Expedition bist Du mit David Göttler nach Nepal gereist, um den Gauri Shankar zu besteigen , einen schwierigen Siebentausender. Warum hat es eigentlich so lange gedauert, bis Du Dich an einen der ganz hohen Berge dieser Welt im Himalaya gewagt hast?
Stefan Glowacz: Mich haben diese Berge schon immer fasziniert. Mein Fokus lag jedoch zu Beginn meiner Karriere klar auf dem Sportklettern. Als ich dann Mitte der 90er anfing mit Kurt Albert auf Expeditionen zu gehen, hatten wir den Ansatz, auf künstliche Hilfsmittel zu verzichten, um ans Ziel, sprich die Wand und wieder zurück zu kommen. Im Himalaya hat jedoch jede Expedition eine Begleitmannschaft dabei. Zudem ist viel reglementiert, man braucht teuere Genehmigungen, treibt sich auf Behörden rum, der bürokratische Aufwand ist hoch. Das entsprach nicht unserer Vorstellung vom freien und kreativen Expeditionsbergsteigen.
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alpin.de: Warum bist Du dann trotzdem zum Gauri Shankar aufgebrochen?
Stefan Glowacz: Zum einen war der Reiz dieser Berge gewaltig. Zum anderen dachte ich mir: Du redest immer nur von den Umständen dort, kennst sie aber nicht aus eigener Erfahrung. Nun weiß ich, dass ich prinzipiell schon richtig lag. Zahlen, Daten, Fakten: Stefan Glowacz kompakt alpin.de: Heißt das, das Thema Bergsteigen und Klettern im Himalaya ist damit für Dich erledigt?
Stefan Glowacz: Nein, das heißt es nicht. Ich bin nach der Rückkunft vom Gauri Shankar im Frühjahr richtiggehend in ein Loch gefallen . Unter den absolut widrigen Wetterbedingungen war zwar wirklich nichts möglich, aber ich habe mir die Frage gestellt: "Hätte ich diese gewaltige 2000 Meter hohe Felswand bei guten Bedingungen meistern können?". Und da habe ich meine Zweifel. In so einer Höhe und in solchen Dimensionen und hohen Gesamtschwierigkeiten bin ich noch nie geklettert. Deshalb werde ich im Januar 2013 mit David Göttler wieder aufbrechen. Ich will es wissen.
alpin.de: Und was steht 2012 an?
Stefan Glowacz: Im Januar breche ich mit meinem Freund Holger Heuber, Fotograf Klaus Fengler und anderen Kletterern nach Patagonien auf, um eine Erstbegehung an einem der dortige Wahrzeichen zu klettern. Im Frühjahr/Sommer habe ich mir ein, zwei Projekte vorgenommen, alpine Sportkletterrouten im Bereich 8c, 8c+ in meiner Heimat an der Schwarzen Wand im Wettersteingebirge.
alpin.de: Deine letzte Expedition, die erfolgreich endete, stand wegen anderer Gründe unter einem besonderen Stern. Gemeinsam mit Holger Heuber bist Du die neue Route "Behind the Rainbow" am Roraima Tepuis erstmals geklettert. Besonders war die Expedition deshalb, weil Ihr schon einmal zuvor an diesem Berg in Venezuela wart. Damals noch mit Kurt Albert, der im September 2010 tödlich verunglückt ist . Auf Kurts Trauerfeier an der Muschelquelle bei Streitberg hast Du zum Abschluss Deiner bewegenden Trauerrede gesagt, dass Kurt auch wenn er nicht mehr da ist, immer Dein Partner am anderen Ende des Seils bleiben wird. Wie sehr denkst Du an ihn, wenn Du klettern gehst? Wie geht es Dir inzwischen damit, dass Kurt nicht mehr da ist?
Für eine Fotogalerie der Gedenkfeier von Kurt Albert klicken Sie auf das Bild oder auf diesen Link. Stefan Glowacz: Kurt ist extrem präsent für mich. Vor allem natürlich, wenn ich in der Fränkischen zum Klettern gehe. Da denk' ich dann immer: ‚Mensch, jetzt schaust beim Kurt vorbei' und Sekunden später erst fällt mir dann ein, dass das nicht mehr möglich ist. Als wir das zweite Mal in Venezuela waren, haben Holger und ich uns permanent gefragt, was wohl der Kurt jetzt machen würde. Er fehlt einfach sehr, nicht nur mir, sondern der gesamten Szene.
alpin.de: Hast Du aus dem Unfall für Deine Kletterpraxis Konsequenzen gezogen? Du kletterst ja seit Deinem Sturz 1993 nicht mehr free solo, aber bist Du noch vorsichtiger, noch risikobewusster geworden?
Stefan Glowacz: Was wir machen ist gefährlich und bleibt gefährlich. Ein Restrisiko bleibt immer. Eines der größten Risiken ist sicherlich auch die Routine. Schaut man sich mal im Klettergarten um, stellt man gerade auch bei guten und erfahrenen Kletterern fest, dass sie nicht mehr richtig hinschauen, wenn sie sich einbinden. Das geht alles völlig automatisch. Das darf nicht sein. Auch Routineabläufe müssen immer kontrolliert werden, auch durch solche altvertrauten Dinge wie Partnercheck.
alpin.de: Wie beurteilst Du den Trend, dass sich einige in der Szene vor allem durch spektakuläre Free-Solo-Klettereien einen Namen machen?
Stefan Glowacz: Ich für meinen Teil habe mein Lehrgeld gezahlt und bin froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Free-Solo ist für mich auf jeden Fall für immer erledigt. Auch wenn man einige Schwierigkeitsgrade unterhalb seines eigentlichen Leistungsvermögens bleibt, kann es dennoch immer passieren, dass beispielsweise ein Griff ausbricht. Und dann ist es vorbei. Free-Solo ist wie russisches Roulette. Letztlich muss jeder für sich selbst wissen, was er tut und ich möchte über niemanden urteilen.
Ich stelle aber schon die Frage, ob die Profis, die Free-Solo klettern, das auch dann tun würden, wenn kein einziges Foto von ihnen gemacht würde, das in den Medien erscheint. Geht es also um die Sache, das Klettern an sich, oder dient die Unternehmung nur der Profilierung? Free-Solo lässt sich glänzend darstellen und vermarkten, die Bilder sind absolut spektakulär, cool, aufregend, Adrenalin pur. Und die Medien gehen viel zu unkritisch damit um und feiern diese Free-Solo-Geschichten unkommentiert und unreflektiert als Heldentaten. Eigentlich müsste da - ähnlich wie auf Zigarettenschachteln - bei jedem Bild ein Warnhinweis stehen ‚Vorsicht - free-solo kann tödlich sein', damit nicht junge Kletterer auf die Idee kommen, den coolen Profis nacheifern zu wollen.
alpin.de: Dein Leben als Profi beinhaltet ja nicht nur das unterwegs sein auf Expeditionen. Wie viele Tage im Jahr sitzt Du am Computer?
Stefan Glowacz: Am Schreibtisch sitze ich wenig, ich bin, was so was betrifft, ein fauler Hund. Computerarbeit ist nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Deswegen gibt es bei mir auch keine Online-Live-Berichterstattung von unterwegs wenn ich auf Expedition bin. Ich genieße es da sehr, ohne Computer zu sein und werde mit Sicherheit nicht damit anfangen, in der Wildnis meine E-Mails zu checken oder per twitter oder facebook zu verkünden, was bei uns gerade los ist.
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alpin.de: Wie sieht Dein Training zuhause aus? Machst Du auch gezielt Konditionstraining oder vertraust Du da Deiner Grundsubstanz?
Stefan Glowacz: Ich muss schon was machen, klar. Zuhause habe ich ein Laufband und einen Trainingsraum, wo ich im Prinzip alles trainieren kann. Da bin ich auch pflichtbewusst. Wenn mein Vortragskalender einen frühen Aufbruch verlangt, stehe ich halt um sechs auf und gehe noch eine Stunde aufs Laufband.
alpin.de: Wie sehr achtest Du auf Ernährung? Trinkst Du Alkohol?
Stefan Glowacz: Ich achte schon auf meine Ernährung, allerdings nicht sklavisch, esse prinzipiell alles und gehe auch mal ins Fast-Food-Restaurant. Zuhause kochen wir gemeinsam sehr viel. Ich bin großer Jamie Oliver-Fan und es macht großen Spaß, mit meinen Kindern zusammen Jamies Rezepte nachzukochen. Alkohol trinke ich wenig. Mehr als ein Bier trinke ich eigentlich nie, weil ich sonst am nächsten Tag schlecht drauf bin.
alpin.de: Wie schmeckt Dir eigentlich Red Bull?
Stefan Glowacz: Mir schmeckt's gut. Aber nach drei, vier nachmittags trinke ich keins mehr, sonst kann ich nicht gut schlafen.
alpin.de: Es gibt ja einige, die halten Red Bull mit seinem hohen Zucker- und Koffeingehalt nicht gerade für ein Sportlergetränk und kritisieren, dass jemand wie Du Werbung für so ein Produkt machst. Auch die Huberbuam sind kritisiert worden, dass sie für ein Produkt wie "Milchschnitte" werben. Was hältst Du denen entgegen?
Stefan Glowacz: Die Huber-Brüder sind Spitzensportler, die verglichen zu dem, was sie leisten und verglichen mit beispielsweise Fußballern, mickrige Beträge kassieren. Da finde ich es absolut legitim, auch solche Einnahmequellen zu nutzen. Ähnlich sehe ich das für mich. Und wer ein Red Bull trinkt oder eine Milchschnitte ist, der weiß doch, was das für Lebensmittel sind. Die Leute sind doch keine Deppen und meinen, nur weil der Glowacz oder die Hubers dafür werben sind das ultra-gesunde Produkte, die man ständig und permanent konsumieren sollte.
alpin.de: A propos Kritik: Du engagierst Dich für den Schutz Deiner heimischen Berge und hast hier schon mit einigen spektakulären Aktionen zum Beispiel gegen den Alpspix am Osterfelderkopf für Aufsehen gesorgt. Andererseits fliegst Du viel, was, wie man weiß für den Klimawandel nicht so prickelnd ist. Wie gehst Du mit diesem Thema um?
Stefan Glowacz: Ich behaupte nicht, dass ich der große Umweltschützer bin. Ich bin auf meine Mobilität angewiesen, fliege viel und bin oft im Auto unterwegs, auch wenn ich inzwischen versuche, viele Termine mit der Bahn wahrzunehmen. Das bringt mein Beruf, bringen meine Expeditionen und meine Vortragsreisen einfach mit sich. Wogegen ich mich allerdings wirklich einsetze, ist die Verbauung und Verschandelung meiner heimischen Bergwelt. Das ist beim Alpspix der Fall. Zudem da ja noch ganz andere Pläne mit Fahrgeschäften, Flying Fox usw. in der Schublade lagen. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommen wird.
alpin.de: Du bist viel unterwegs, vielleicht nur ein Drittel des Jahre zuhause. Hast Du ab und zu ein schlechtes Gewissen Deiner Familie gegenüber? Haben Deine Kinder schon mal gemotzt, dass der Papa so viel unterwegs ist?
Stefan Glowacz: Es ist schon so, dass mich wegen meiner vielen Termine meine Familie manchmal nur beim Frühstück sieht. Ich schau' aber auch, dass ich Blöcke in meinem Jahr habe, wo ich weder auf Vortragsreisen noch auf Expeditionen oder anderweitig in den Bergen unterwegs bin. Da nehm' ich mir dann viel Zeit für meine Familie, mache Sport mit meinen Kindern oder wir gehen alle gemeinsam ins Kino.
alpin.de: Denkst Du wenn Du unterwegs bist viel an Deine Familie?
Stefan Glowacz: Es kommt darauf an. Habe ich viel zu tun, läuft die Expedition gut, dann bin ich in meinem Tun vehaftet und gedanklich präsent. Wenn ich aber - wie zum Beispiel bei der Expedition nach Nepal in diesem Jahr - viel zum Warten und Rumsitzen gezwungen bin, gehen die Gedanken schon Richtung Heimat und ich habe auch manchmal ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Zeit nicht mit meiner Familie verbringe. Andererseits ist gerade das ja auch gut, weil ich dann die Zeit zuhause oft richtig genießen kann.
alpin.de: Deine Drillinge, zwei Jungs, ein Mädchen, sind jetzt 15. Das heißt sie stecken mitten in der Pubertät. Geht's zur Zeit oft laut zu zuhause und was für ein Typ Papa bist Du? Eher soft, eher streng?
Stefan Glowacz: Ich bin ziemlich ungeduldig und auch ziemlich streng. Zum Glück gibt's aber nicht so viel auszufechten, weil meine Kinder einfach toll sind. Eine große Rolle spielt dabei auch der Sport. Sie sind Freestyle-Skifahrer und inzwischen in die Jugend-Nationalmannschaft gerutscht. Probleme etwa mit Alkohol, Rauchen, Drogen gibt es da einfach nicht.
alpin.de: Deine Frau Tanja Valérien-Glowacz, die Tochter des ehemaligen Sportstudio-Moderators Harry Valérien, ist keine Bergsteigerin, keine Kletterin. Würdest Du nicht auch gerne mit Deiner Partnerin steil gehen, sprich, sie mal auf eine Deiner Touren mitnehmen?
Stefan Glowacz: Nein. Bei uns hat jeder seinen Bereich. Meine Leidenschaft ist das Klettern, das Unterwegssein. Tanjas Leidenschaft ist die Welt der Mode, in diesem Bereich hat sie auch studiert, darin geht sie auf. Sie hat eine Agentur und produziert Kataloge für Modefirmen. Sie kann aber meine Leidenschaft verstehen und ich kann ihre verstehen.
alpin.de: Was ist denn Euer gemeinsames Ding wenn nicht das Bergsteigen? Was unternehmt Ihr gemeinsam?
Stefan Glowacz: Wir schauen uns zum Beispiel gerne Städte an, fahren gemeinsam nach Paris oder London. Sie ist kulturell bewanderter als ich und für mich ist es eine große Bereicherung, von ihrem Wissen und ihren Erfahrungen zu profitieren. Manchmal sind wir aber auch einfach gemeinsam faul, schauen uns einen Film an oder gehen spazieren. Letztlich bin ich froh, dass sie aus einer anderen Szene kommt. Immer nur klettern wäre langweilig.
alpin.de: Nimmt Dich eigentlich irgendeine Lebensversicherung? Hast Du eine Chance, Deine Familie finanziell abzusichern, sollte bei aller Vorsicht doch mal etwas schief gehen?
Stefan Glowacz: Lebensversicherung nimmt mich keine. Meine Absicherung ist das von mir mitgegründete Unternehmen "Red Chilli". Da läuft es ganz gut. Ich muss nicht für alle Zeiten klettern.
alpin.de: Du bist jetzt 46, irgendwann wird der Tag kommen, wo es schwierig wird, die ganz großen, entbehrungsreichen Abenteuer in den entlegensten Winkeln dieser Welt anzugehen. Wann geht Stefan Glowacz in Rente?
Stefan Glowacz: Ich denke bis 50 geht es noch so wie jetzt. Danach werden die Wände wohl zwangsläufig ein wenig flacher werden. Aber solange mein Körper mitspielt, werde ich unterwegs sein.
Interview: Holger Rupprecht
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