So müssen Kinofilme sein. Emotion und Tragik – und ein Plot, der einen sofort packt, egal, wie stark man ihn reduziert. Kleiner Test gefällig? In 40 Worten?
Zwei Freunde besteigen einen hohen Berg in Afrika, einer stürzt ab, der andere holt Hilfe, die kommt nach Tagen aus Tirol. Am achten Tag wird der offene Bruch versorgt, Krankenbettnachbar ist Reinhold Messner, gerade zurück von seinem Schicksalsberg Nanga Parbat.
Noch knapper? Zwei Freunde, ein Mädchen, ein traumatisierter Dritter. Liebe, Leid, Kameradschaft, Tod und Happy End.
Anders gesagt: grandiose 88 Minuten, die hoffentlich bald ins Kino kommen! Und Hochachtung vor diesem spätberufenen Regisseur, der mit 72 Jahre ganz neue Spitzenleistungen erbringt. Und Hochachtung vor den Schauspielern, die eigentlich Extrembergsteiger sind. Und Hochachtung vor den beiden Freunden, die im Film ihre Geschichte erzählen und immer noch Freunde sind.
Premiere war im kleinen Kreis auf Schloss Sigmundskron, im Messner Mountain Museum Firmian: Familie Messner, die Mitwirkenden, die Crew von Servus TV, Freunde und ein paar Medienleute. Viel Platz ist dem kleinen Kino ohnehin nicht, das erst in diesem Jahr genial an die Burgmauer rangezaubert wurde.
Hans-Peter Stauber, der Programmverantwortliche von Servus TV, spricht die einführenden Worte zu diesem Drama: Das "haben wir nachvollzogen mit der Regie von Reinhold Messner".
Er bereitet die Zuschauer nur knapp auf die Emotionen vor, die jetzt kommen werden. Eine 46 Jahre alte Berggeschichte – nach so viel Bergdramen seitdem – wie soll da der Funke überspringen?
Und doch, der Funke springt über: nahezu im ersten Moment. Die blecherne Stimme mit den dürren Fakten, die an eine Wochenschau von einst erinnert, stammt tatsächlich aus einem Film "von damals".
Sie reißt die Zuschauer ins Jahr 1970, in die Berge Afrikas, nimmt sie mit auf eine Luftreise über den Mount Kenya (5199 m). Ein wilder Berg ist das, zackig, schroff und aus zweifelhaftem Fels geschichtet. Die Vogelschau wird langsamer, wir sehen zwei Bergsteiger, winzige Figuren in der gewaltigen Wand. Und in der gewaltigen, gewalttätigen Hand des Schicksals, das einen der beiden unmittelbar nach der Freude über den Gipfel abstürzen lässt.
Es ist der junge Arzt Gert Judmeier, der sich über einen Felsblock beugt, um die Abseilstelle zu überblicken, als der Brocken mit ihm in die Tiefe saust. 29 Jahre ist er alt, und jeder Atemzug, der nun folgt, verbindet ihn noch stärker mit seinem 27-jährigen Berufskollegen und Bergkameraden Oswald Oelz, der damals schon "Bulle" genannt wird, seiner körperlichen und mentalen Kraft wegen.
Aber seine Hände sind nicht stark genug, das Seil zu halten, das ihm die Haut und die Muskeln aufreißt. Irgendwann zieht es nicht mehr und Oswald beeilt sich, zu seinem Freund hinabzusteigen. Er findet ihn schwer verletzt, unbeweglich. Originalton Oelz: "Offene Fraktur auf 5100 Meter – das kommt nicht gut."
Den Spiel-Szenen sind Doku-Passagen gegengeschnitten, in denen Oelz und Judmeier erzählen. Sehr spannend, aber absolut sachlich, was ihrer Geschichte noch mehr Gewicht verleiht.
Lapidar erzählt Oelz, dass er sich nun "in einer anderen Welt" vorfand, dass beide wussten, dass Gert sterben werde, da es keine Rettungsmöglichkeiten gab. Kein Handy, kein Funkgerät, keinen Heli, keine Bergrettung, Nichts. Nur Fels und Tod. Und ein paar andere Bergsteiger in einer kleinen Biwakhütte, 600 Meter tiefer.
Derweil liegt Gert in seinem Biwaksack, dämmert in wieder weg in die Bewusstlosigkeit des Schmerzes, denkt aber daran, immer wieder die Abbindung zu öffnen und zu schließen, damit der Fuß nicht abstirbt, er aber nicht verblutet. "Ich wusste, dass ich keine Chance habe." Aber: "Das Leben in einem ist so stark, dass es keine Hoffnungslosigkeit gibt."
Der Film springt um 24 Stunden, Gert liegt da, immer noch die Brille auf der Nase, bleich, schmutzig und – zählt. Aber die Kamera erfasst ja nicht Gert, sondern Hansjörg Auer, den berühmten Ötztaler Alpinisten, der eine unglaubliche schauspielerische Leistung hinlegt. Buchstäblich.
Was für eine Rolle: Dazuliegen und nur mit dem Gesicht, ja nur mit Lippen und Augen arbeiten, zu können. Das Wort "spielen" verbietet sich. Nicht minder großartig ist der Film-Oelz: sein Bruder Vitus. Der Aktive der beiden, der die Hilfe in Gang setzt. Beide voll bringen unglaubliche Leistungen.
Ebenso unglaublich wie die Ereignisse im Jahre 1970 selbst. Denn Oswald hat von der Biwakhütte aus nicht nur Helfer gerufen, über ein Funkgerät, das in der nächsten Hütte liegt, sondern auch die Weltöffentlichkeit alarmiert.
So erfährt sein Freundin von der Katastrophe – die am Anfang des Films ein paar traumhafte „Mitten in Afrika“-Reisetage mit den beiden verbringt, bis sie sie vom Berg an den Strand schicken, wo sie auf die beiden Helden warten möge.
Sie packt sofort ihren Rucksack, hört ein kleines startendes Flugzeug in der Nähe, rennt hin und schafft es, den Piloten zu überzeugen, dass er sie zum Mount Kenya fliegen muss. Sie umkreisen den Berg, sehen einen Menschen winken, können aber nichts tun. Aber sie ist bei ihren Freunden, weiß immer noch nicht, wer das Opfer ist.
Inzwischen erreicht die Nachricht von dem Unfall Europa und Gert sVater fliegt sofort nach Nairobi, um eine Hilfsaktion in Gang zu setzen. Bald wird klar, dass nur speziell ausgebildete Retter eine Chance haben, zu den Verunfallten vorzudringen und so erreicht sein Hilferuf die Innsbrucker Bergrettung.
Nächstes Wunder: Fünf Mann kamen gerade von Expeditionen zurück und sind immer noch höhenakklimatisiert. In kürzester Zeit reisen sie über München (mit Polizeikäfer als Eskorte) und Frankfurt nach Nairobi bis an der Berge. Nach mühsamen Landroverstunden können sie losmarschieren.
Derweilen macht sich oben Verzweiflung breit. Bei Oswald haben sich zwei Helfer eingefunden, die Gert mit unvorstellbarer Mühe Meter für Meter talwärts schleppen. Für Gert unter so großen Schmerzen, dass er schreit, dann wolle er lieber sterben. Für John Temple, der trockene Brite, der ebenfalls in Messners Film zu Wort kommt, war das der Satz, der alles für ihn änderte. Von da an war für ihn klar, dass er "alles dransetzen werden, ihn zu retten."
An einem Felsturm kommen die Vier nicht mehr weiter. Zu groß ist der Abgrund, den sie mit dem Opfer nicht überklettern können. Da erscheinen wie ein Deus ex machina die Tiroler Bergretter, improvisieren eine Seilbahn und bringen Gert in Rekordzeit zum Biwak. Oelz beschreibt die Erstversorgung als "beeindruckend auch für einen relativ erfahrenen Unfallchirurgen."
Ja, da fehlt nicht mehr viel zum Happy End, das Reinhold Messner bei der Premiere in prägnante Worte fasst: "Danke, dass ihr überlebt habt!"
Weitere Sendetermine:
Donnerstag, 13.10.2016, 00:00 Uhr
Donnerstag, 13.10.2016, 09:00 Uhr
Sonntag, 16.10.2016, 15:25 Uhr.
5 Kommentare
Kommentar schreibenSehr beeindruckend!
Ein toller und rundum sehr gelungener Film! Herzlichen Glückwunsch an alle Beteiligten!
Zum Kritikpunkt von Herrn Huber: Die Trage wurde doch von zwei weiteren Helfern nach oben gebracht, die aber wegen Steinschlag umgedreht sind, die trage aber zurückgelassen haben - wurde im Film etwas beiläufig erwähnt
Super!!!ein ganz starker und berührender Film, und die Werbung unmöglich!!!!
Guck's grad zuhause. Wirklich ein starker Film. Aber die Werbung nervt tierisch. Grad wenn man voll "drin" ist, kommt Reklame für Käse oder Versicherungen. Kein Vorwurf an irgendwen, muss ja auch Geld reinkommen. Aber der Filmgenuss ist empfindlich gestört. Holger von alpin.de
Habe gestern auf Servus den Film gesehen. Mit kleinen Ausnahmen, wie folgt einfach super, sowohl in Regie, Bildgestaltung und darsteller-
ischer Leistung.
Kritik: bei Rettungsbeginn durch Bulle und den 2 dazugekommenen Helfern war in späteren Schnitten der Verunfallte auf einer Gebirgstrage zu sehen. Im Film dargestellt, kamen die Östereicher jedoch erst später.
Für mich ist der Regiegedanke im Film natürlich absolut nachvoll-ziehbar, jedoch für ein breites unbedarftes Publikum vielleicht etwas verwirrend.
Aber Gesamteindruck: absolute Gratulation.
Kommt nahe ran an den Film von Marcel Ichac "Sterne am Mittag"