Im Frühjahr 2010 waren Stefan Glowacz, Holger Heuber und Kurt Albert zu ihrem ersten Versuch gestartet, die Wand La Proa im Dreiländereck von British Guyana, Venezuela und Brasilien zu durchsteigen. Nach sieben Seillängen im oberen neunten Schwierigkeitsgrad am Tafelberg Roraima Tepuis musste das Team seinen Versuch wegen des schlechten Wetters abbrechen.
Im November 2010 reisten sie erneut an - zu zweit. Denn Albert konnte nicht mehr dabei sein.
Stefan, Du hast von Anfang an gesagt, die Expedition soll im Sinne von Kurt Albert vollendet werden. Ein "Kurt-Albert-Gedächtnisweg" als Routenname kam aber nie in Frage. Was hat "Behind the Rainbow" nun mit Kurt zu tun?
Das war in erster Linie Holgers Idee. Er hat nach der Erstbegehung an ein Bild gedacht, das er auch bei seinen Vorträgen immer wieder verwendet. Es zeigt Kurt, wie er einen Regenbogen nach oben stemmt. Und Holger meinte zurecht: ,Das Leben von Kurt war so bunt und schillernd wie ein Regenbogen.' Er war etwas Besonderes. Und das ist die Route auch. ,Behind the Rainbow' passt perfekt.
Im Frühjahr habt Ihr die ersten sieben Seillängen noch mit Kurt durchstiegen. Als Ihr die Expedition abbrechen musstet, habt Ihr Material zurückgelassen. Wie war es, an diese Stelle zurückzukehren?
Es war nicht leicht. Kurts Helm hing noch in der Wand. Es war, als wäre er irgendwie da - und eben doch nicht. Holger und ich haben aber kaum über die Situation gesprochen. Als wir zur siebten Seillänge gekommen sind, herrschte Stille.
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Dieses Gefühl hat vermutlich die Expedition geprägt: Kurt Albert war dabei, aber nicht körperlich.
Er war immer präsent. Schließlich war er ein tragendes Element der Expedition. Zu erkennen, dass er nie mehr dabei sein wird, war schmerzhaft. Manche Momente waren dabei melancholischer als andere.
Welche?
Im Biwak in der Wand denkst Du zum Beispiel an die vielen lustigen Momente, die Du noch vor ein paar Monaten mit Kurt an genau dieser Stelle hattest. Das macht traurig. Oder Du stehst am Standplatz beim Sichern nicht mehr zu dritt, sondern zu zweit.
In solchen Situationen wurde uns der permanent leere, unaufgefüllte Platz neben uns stark bewusst.
Hat diese Belastung die Expedition zu Deiner vielleicht schwierigsten gemacht?
Emotional sind wir bei jeder Unternehmung gefordert. Es zehrt an den Nerven, wenn zum Beispiel das Wetter nicht mitspielt oder ungeplante Schwierigkeiten auftreten. Das alles aber ist mit der Belastung in Venezuela nicht zu vergleichen. So gesehen war die Expedition mit Sicherheit eine der schwierigsten.
Das eine schließt das andere nicht aus. Holger und ich haben immer gesagt, wir wollen die Expedition im Sinne von Kurt vollenden. Das ist uns gelungen. Und das ist ein wunderbares Gefühl.
Eueren ersten Besteigungsversuch musstet Ihr wegen des schlechten Wetters abbrechen. Hat dieses Mal nur die Sonne geschienen?
Ganz im Gegenteil. Wir konnten die Uhr danach stellen: Täglich hat es ab Mittag geschüttet und geschüttet. Sintflutartig schoss innerhalb von kürzester Zeit das Wasser vom Berg herunter, in riesigen Wasserfällen. Es war permanent nass.
Wie lässt sich da klettern?
Wir waren jedes Mal froh, wenn wir in der Wand waren. Denn das war der einzig trockene Ort. Alles war nass und feucht: die Kleidung, die Haken, das Seil, nur nicht der Fels. Die Route, die wir durch die Wand gewählt hatten, war in den letzten neun Seillängen so überhängend, dass das Wasser hinter uns vorbeigeschossen ist. Zum Teil war es so laut, dass Holger und ich uns nur über lautes Schreien verständigen konnten. Es war bizarr.
Und das war schön?
Es war atemberaubend, wirklich unglaublich. Die Natur, der Fels, die Lichtverhältnisse. Einfach unbeschreiblich. Das war wohl die schönste Kletterei, die ich jemals gemacht habe. Auch wegen der Dramaturgie: Es wird kontinuierlich schwerer. Die Schlüsselstelle im zehnten Schwierigkeitsgrad kommt in der letzten, der 16. Seillänge.
Euere Erfahrungen werden ab Herbst im Kino zu sehen sein. Ein achtköpfiges Filmteam hat Euch dafür nach Venezuela begleitet. Inwiefern hat das die Expedition beeinflusst?
Das diktiert den Ablauf. Wir waren etwa vier Wochen unterwegs, davon nur eine Woche in der Wand. Den Rest der Zeit standen Dreharbeiten auf dem Programm. Die Aufnahmen aber entschädigen für alles. Sie verraten einen weiteren Grund, weshalb der Name ,Behind the Rainbow’ so perfekt zur Route passt: Wenn die Sonne durchgedrungen ist, sind wir genau unter einem Regenbogen geklettert. Und das war fast jeden Tag.
Bilder: Klaus Fengler Text: TOC Agentur für Kommunikation GmbH
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